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Das Amt der Deutschen Weinkönigin im Wandel

Dr. Nickenig: Wir könnten sicher lange über die Definition der Weinkultur reden. Weinkultur scheint mir ein dynamischer Prozess zu sein, der immer wieder neu mit Leben, mit innovativen Ideen gefüllt werden muss. Ist der Wandel des Selbstverständnisses der Deutschen Weinköniginnen ein Spiegelbild für den Wandel der Weinkultur?

Neradt: Im Prinzip ja. Weil im Bereich der Weinwirtschaft das Thema Weinpräsentation und Marketing heute eine viel größere Rolle spielt als früher. Einhergehend mit dieser Entwicklung haben sich auch die Anforderungen an die Weinköniginnen entsprechend geändert. Heute wird auch großer Wert auf kulturelle Präsentation gelegt, aber viel mehr als früher Wert gelegt auf das Weinwissen, sowohl in technologischer als auch sensorischer Hinsicht.

1996 waren wir in der Pfalz und hatten eine Livesendung mit prominenter Runde und vor allem die erste Internetweinprobe mit Weinfreunden aus England. Es waren lustige Bilder, die Ton- und Bildqualität ließ noch sehr zu wünschen übrig. Julia Klöckner, die 1995 ebenfalls Deutsche Weinkönigin war, stand als weitere Moderatorin zur Seite und forderte die Zuschauer immer auf, sich doch über „https//: www“ zu melden - und ich wusste damals noch nicht mal, was das bedeutete. Heute helfe ich vielen Freundinnen, die Probleme mit dem PC haben. Man lernt halt immer dazu. Was haben wir doch seit 1972 für einen Riesensprung in jedweder Hinsicht gemacht.

Dr. Nickenig: Wie sagten doch schon die alten Römer: Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen. Vielleicht sollten wir nun von den allgemeinen Betrachtungen zu speziellen Themen kommen. Sie beschreiben sehr überzeugend und nachdenklich stimmend Ihre Erfahrungen als deutsche Weinkönigin bei einem Besuch in Berlin. Sie nennen es Ihr Berlin-Abenteuer. Dazu zählte nicht nur Ihr risikoreicher Besuch in Ostberlin, sondern auch und vor allem der offizielle Auftritt bei der Auszeichnung von Schauspielern bei den Berliner Filmfestspielen. Weinkultur traf Filmkultur. Wie ordnen Sie diese Begegnungen ein? Was brachte, was bringt ein solches Treffen der deutschen Weinkönigin mit Filmstars wie Hannelore Elsner und Klaus Kinski dem Kulturgut Wein und insbesondere dem deutschen Wein?

Neradt: Natürlich gehörten die Einladungen zum Filmball und auch zum Bundespresseball in Bonn damals zu den attraktivsten Auftritten einer Deutschen Weinkönigin. Aber ehrlich gesagt, ich glaube weniger, dass die Schauspieler, denen ich jeweils eine Flasche Wein mit ein paar Grußworten überreichte, ihr Weinkonsumverhalten wegen mir änderten. Aber das Wichtige war doch, dass der deutsche Wein in aller Munde war. Die Presse war ja ständig zugegen und eine Deutsche Weinkönigin wurde auch immer fotografiert. Ich denke mal, dass dies für die Weinbranche wohl eine der wichtigsten Werbemöglichkeiten war. Ich erinnere mich sehr gerne an diverse Weinbrunneneröffnungen in der damaligen Bundesrepublik, wo normale Bürger mich wie einen Superstar um ein Autogramm baten, weil sie mich in der Zeitung gesehen hatten und wohl auch die Wertigkeit des Amtes anerkannten. Das waren Begegnungen, die mir sehr wichtig waren. Wenngleich ich nicht leugnen kann, dass ich mich in Gesellschaft von berühmten Filmstars - wenn auch nur für einen Abend - sehr wohl gefühlt habe.

 

Grenzen der Trinkkultur

Dr. Nickenig: Bleiben wir noch ein bisschen beim Thema Kultur. Zumindest ein Teil der deutschen Bevölkerung, vor allem im Rheinland, ist überzeugt, dass Karneval ein wichtiger Bestandteil der deutschen Kultur und damit seelenverwandt mit der Weinkultur ist. Sehen Sie das auch so - auf der Grundlage Ihrer eigenen Erfahrungen? Ich hänge ergänzend gerne die kritische Frage nach Risiken von solchen „Kulturbegegnungen“ an, wenn der Weingenuss nicht mehr moderat sein sollte?

Neradt: Tja, da sprechen Sie etwas an, was mich damals auch irritiert hatte. Der damalige Geschäftsführer vom Deutschen Weininstitut wollte auf keinen Fall, dass ich offiziell mit Jockel Fuchs, dem damaligen OB von Mainz auf der Rosenmontagstribüne sitzen sollte. Was ich dann doch - allerdings als „Privatperson“, ohne Krone, aber auch ohne angedrohte Konsequenzen -  machte. Fastnachtsprinzessinnen und die Deutsche Weinkönigin passten für das Institut nicht zusammen. Fastnacht aber ist ebenso wie ein Weinfest ein Kulturgut. Wein ist nicht nur ein wunderbarer Essensbegleiter, er beschwingt auch und lässt Menschen locker werden. Bei einer Fastnachtssitzung trinken die Leute nicht mehr als in einem Weinlokal, schon wegen der Preise. Die meisten Besucher dieser Sitzungen genießen verantwortungsbewusst und moderat ihren Wein. Natürlich gibt es Ausnahmen. Aber die sind nicht die Regel. Dies ist jedenfalls meine Meinung. Ich könnte nicht den ganzen Abend bei einer Fastnachtssitzung bei Bier oder Wasser sitzen – oder könnten Sie das, Herr Nickenig? 

Dr. Nickenig: Ich kann auch bei anderen Gelegenheiten nicht einen ganzen Abend nur bei Bier und Wasser sitzen. Aber kommen wir vom Sitzen zur Bewegung! Was für eine elegante Überleitung, nicht wahr!? Ihr Regentschaftsjahr stand auch ganz im Zeichen der Olympiade in München, an die wir leider nicht nur schöne, sondern auch traurige Erinnerungen haben. Sie schildern ein eigenes Erlebnis und ziehen daraus auch Schlussfolgerungen für das Thema Sport und Wein…

Neradt: Oh ja, diese Olympiade war geprägt von diesem schrecklichen Anschlag. Ich erinnere mich noch genau. Mir ist aber auch noch eine andere Geschichte in Erinnerung geblieben, auf die Sie anspielen: Ulrike Meyfarth hatte die Goldmedaille im Hochsprung gewonnen. Sie hatte 1,92 m geschafft. Wegen der Namensähnlichkeit hatte das Deutsche Weininstitut sofort geschaltet. Sie fragten bei der Olympiasiegerin an, ob sie sich mit Ulrike Seyffardt, der Deutschen Weinkönigin fotografieren lassen möchte, denn wenn man auf meinen Kopf eine Flasche Wein stellt, seien es auch 1,92 m. Sie hatte dankend abgelehnt. 

Im Laufe des Jahres musste ich bei einigen Terminen feststellen, dass Profisportler, zum Beispiel die Spieler von Schalke 04, sich ungern mit einer Weinkönigin ablichten ließen. Irgendwie auch verständlich. Wie dem auch sei: Sport und Wein passen natürlich nicht so gut zusammen. Mir ist das schon klar. Ich würde nie ins Fitnessstudio gehen, wenn ich ein Glas Wein vorher getrunken habe. Daher habe ich schon Verständnis für die damalige Absage von Ulrike Meyfarth. Wie schnell wird man da in eine bestimmte Ecke gestellt. Ich kenne allerdings viele Sportler, die nach getaner Arbeit gern ein gutes Glas Wein trinken!


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