Weinkonsum im Kontext: Gibt es ein Krebsrisiko?

Prof. Ramon Estruch aus Barcelona (Mitglied des Wine Information Council) stellt Ihnen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu vor.

Wie sind die Zusammenhänge zwischen dem Konsum alkoholischer Getränke und insbesondere von Wein und dem Risiko von Krebserkrankungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bewerten? Wo gibt es noch Wissenslücken? Wie lassen sich die Studien verbessern? Dies waren die Schwerpunkte der Online-Veranstaltung mit dem spanischen Wissenschaftler und Weinforscher. Gleich zu Beginn seines Vortrages bekräftigte Prof. Estruch, es gebe keine Zweifel daran, dass ein hoher Konsum alkoholischer Getränke das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen steigert. Doch die oft geäußerte, pauschale Aussage, jeglicher Konsum sei krebsfördernd, halte er für falsch.

Der Kontext entscheidet
Zur Begründung führte Estruch an, dass sich ein differenziertes Bild ergibt, wenn folgende wichtige Punkte berücksichtigt werden: verschiedene Krebsarten, die Art der Getränke (z. B. fermentiert oder nicht, Bier oder Wein), das Trinkmuster (z. B. täglich vs. Wochenende) sowie den Kontext der gesamten Ernährungsweise und des Lebensstils.

Dazu verwies er auf eine große amerikanische Studie, die den Zusammenhang zwischen fünf gesundheitsrelevanten Lebensstilfaktoren und dem Sterberisiko untersucht hatte. Neben dem Nichtrauchen, einem normalen Body Mass Index, einer gesunden Ernährung und regelmäßiger Bewegung war als fünfter Punkt ein mäßiger Konsum alkoholischer Getränke (5 – 15 g/Tag für Frauen, 5 – 30 g/Tag für Männer) als günstiger Lebensstilfaktor einbezogen worden. Die Studie hatte für Männer und Frauen mit jedem zusätzlichen Punkt auf der Lebensstilskala eine um bis zu 82 % verringerte Sterblichkeit ergeben. Schon das zeige, so der Professor, dass ein Pauschalurteil in Sachen alkoholischer Getränke nicht gerechtfertigt ist.

Mediterran essen UND trinken
Den Kontext der Ernährungsweise hält Estruch für den wichtigsten Einflussfaktor. So hatte eine Studie bei täglichem Weingenuss nur dann eine verringerte Krebssterblichkeit gefunden, wenn auch mediterran gegessen wurde. In einer zusammenfassenden Auswertung mehrerer Studien hatte sich ebenfalls gezeigt, dass bei mediterraner Ernährung das Sterberisiko sinkt. Dabei hatte sich ein moderater Weinkonsum als stärkster Einzelfaktor dieses Essmusters erwiesen. Dies zeige, so Estruch, wie wichtig es ist, nicht nur zwischen maßvollem, moderatem und hohem Alkoholkonsum zu unterscheiden, sondern auch danach, ob regelmäßig oder nur gelegentlich getrunken wird, ob es sich um Wein oder ein anderes Getränk handelt und ob es im Rahmen einer gesunden Ernährungsweise wie der mediterranen Ernährung und im Rahmen einer Mahlzeit genossen wird oder nicht.

Weitere Fallstricke bei der Erforschung der Zusammenhänge seien Fehlerquellen wie das „Underreporting“ (engl. für zu geringe Angaben), das gerade beim Thema alkoholische Getränke besonders ausgeprägt sei und die Studienergebnisse erheblich verfälschen kann. So hätten in einer Studie bei Frauen die angegebenen Trinkmengen bis zu 60 Prozent unter den tatsächlichen Mengen gelegen. Findet eine solche Studie dann, dass schon bei moderatem Konsum das Brustkrebsrisiko steige, ist das schlicht falsch, weil der Konsum in Wahrheit viel höher lag.

Phenole im Blickpunkt
Was speziell den Wein angeht, so hob Estruch dessen phenolische Inhaltsstoffe hervor, die das Krebsrisiko entscheidend modulieren, weil sie auf allen Stufen einer Krebserkrankung günstig einwirken können. Da Wein, insbesondere Rotwein, deutlich mehr Polyphenole als Bier enthalte, sei bei Wein auch mit deutlicheren Wirkungen zu rechnen.

Zu guter Letzt wies Prof. Estruch darauf hin, dass für jeden Menschen je nach Alter, Geschlecht, Krankheiten und Risiken eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen ist. Dazu sei es auch notwendig, mehr hochwertige Studien durchzuführen, die sowohl die Ess- als auch die Trinkmuster berücksichtigen. Dann werde sich seiner Ansicht nach zeigen, dass ein moderater Weingenuss im Rahmen einer gesunden (mediterranen) Ernährung das Krebsrisiko senke.

Quelle: Estruch, R: online Seminar für das Wine Information Council (WIC) am 30.9.2020
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