Auch Forscher haben persönliche und fachliche Präferenzen - Ein Artikel über eine Diskussion in der ZEIT.
Kolumne Nachgeforscht Januar 2019
Haben Sie letzte Woche die ZEIT gelesen? Den Leitartikel zum Forscherstreit über Alkohol? Die Wahrheit im Wein. Wirklich gesund? Besser abstinent?
Solange ich mich mit dieser ambivalenten Thematik befasse, solange besteht dieser Streit. Wir sind am besten damit gefahren, wie wir es tun: Sachlich informieren, keine Schlagzeilen kommunizieren, mit Sinn und Verstand vorgehen. Wer dies tut, muss eingestehen, dass zu viel Alkohol unzweifelhaft ungesund, schädlich ist für alle Organe des Körpers und zur Sucht führen kann. Ein wenig bis moderate Mengen (vor allem Wein) senken dagegen das Risiko für vor allem Herzinfarkt und Diabetes. Dies ist vielfach belegt und ebenso unzweifelhaft. Sogar für Krebserkrankungen (Ausnahme Brustkrebs, bei familiärer und hormoneller Belastung) liegen die Schwellenwerte über 100 Gramm Alkohol pro Woche, wie der alkoholkritische Gastroenterologe in dem ZEIT-Artikel einräumt. Alkoholische Getränke für Kinder und Schwangere – gleich welcher Matrix – sind tabu, sagt nicht nur die Forschung, sondern der gesunde Menschenverstand.
Alleine schon die unterschiedlichen Gesprächspartner des ZEIT-Redakteurs belegen, wie kontrovers und nicht immer emotionsfrei das Thema Alkohol gesehen wird. Zitiert werden verschiedene Wissenschaftler mit zum Teil konträren Meinungen. Dies zeigt, dass auch Forscher Präferenzen haben, persönliche und fachliche.
Der erste, der Gesundheitsforscher, trinke höchstens mal ein Glas Wein für sich alleine, nicht bei sozialen Anlässen. Man sei nur auf der sicheren Seite, wenn man gar nichts trinke. Zwei Flaschen am Wochenende zu viert - wonach der Redakteur fragt - sei auf jeden Fall Rauschtrinken. Nach der Statistikerin, die die großen Alkoholstudien des letzten Jahres verantwortet, steigt das Risiko, früher zu sterben, wenn man regelmäßig mehr als 100 Gramm Alkohol die Woche trinkt, also mehr als ein Glas Wein pro Tag. Dass Frauen mehr an Brustkrebs sterben, zeige ihre Studie nicht, auch nicht warum in muslimischen Ländern die Lebenserwartung niedriger liegt als bei uns, obwohl dort kein Alkohol getrunken werde. Sie rate, die Grenzwerte in manchen Staaten zu senken, aber nicht zugunsten völliger Abstinenz. Für den Dritten, den Risikoforscher, aus Cambridge sind moderate Mengen okay und er ärgert sich sichtlich über die Null-Promille-Vorstöße, weil - wörtlich - es bevormundend sei, unverschämt und falsch. Er hat das Risiko auf ein vernachlässigbares Minimum errechnet. Alkohol in großen Mengen sei gefährlich. Und ausgerechnet jene Studie, die für den großen Wirbel sorgte und sich für Abstinenz stark mache, ergäbe bei näherem Hinsehen: Bei moderatem Trinken ist das Risiko gering und die Gesundheitsprobleme werden überschätzt. Obwohl dort auch Gewalttaten oder Unfälle unter Alkoholeinfluss als "Krankheiten" gewertet würden, werde dennoch das Risiko nur als marginal eingestuft.
Nichts auf der Welt ist risikofrei. Allerdings ist nach der Summe aller Studien, die wir sehr genau beobachten, ein Konsum von einem bis zwei Gläser Wein für einen gesunden Menschen als risikoarm zu bezeichnen. Wenn er dann noch einen alkoholfreien Tag pro Woche einlegt, ist gegen das tägliche Glas Wein absolut nichts zu sagen. Wählt man gesunde Trinkmuster, wie Wein zum Essen und Wasser als Begleiter, kommen die Benefits zum Tragen.
Jeder kann selbst entscheiden, ob er Wein trinken will oder nicht. Mir persönlich gefiel am besten das Resultat einer Studie des Evolutionspsychologen der Uni Oxford, der ebenfalls in der ZEIT zu Wort kam: Wer Alkohol trinkt, hat mehr Freunde. Ehrlich gesagt, nehme ich dafür auch ein minimales Risiko in Kauf.