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Interview mit Michael Landgraf - Generalsekretär des deutschen PEN-Clubs

Moderater Weinkonsum stärkt das Nervenkostüm, bringt Gelassenheit selbst in stressigen Situationen und fördert das verbindende Gespräch. Wie anders ist es zu erklären, dass Michael Landgraf, Generalsekretär des deutschen PEN-Clubs 20 Tage vor dem Beginn der Frankfurter Buchmesse bereit ist, mit Rudolf Nickenig bei einem Glas trockenem Rotwein über die Verbindung von Weinkultur und Literatur zu reden. Damit nicht genug, er hatte sich auch bereit erklärt, an der Herbsttagung der Gesellschaft für Geschichte des Weines am 14. Oktober an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen, bei der es um die Frage geht: „Weingeschichte und Weinkultur – Erinnerungen wecken und Kommunikation verbessern.“

 

Weinkultur und Literatur

Rudolf NickenigLieber Herr Landgraf, wenn ich mir Ihre biografischen Daten anschaue, dann frage ich mich, wie viele Stunden Ihr Tag hat: Sie sind Studien- und Museumsleiter, Lehrbeauftragter an der Universität Mainz, Stadtrat, Neustadter Kulturbotschafter und Schriftsteller. Darüber hinaus sind Sie Geschäftsführer der Gemeinschaft deutschsprachiger Weinbruderschaften und als Bruderschaftsmeister in der Pfalz der Weinkultur verbunden. Auch sind Sie Mitglied der Gesellschaft für Geschichte des Weines und dabei für mich ein wichtiger Ansprechpartner und stets weiterhelfender Berater. Seit letztem Jahr sind Sie Generalsekretär des PEN-Clubs Deutschland, der ältesten Schriftstellervereinigung im Land, sowie literarischer Vertreter im Deutschen Kulturrat. Lassen Sie mich hier einhaken, denn Literatur ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur, wohl auch der Weinkultur.

Da Humor und Fröhlichkeit auch zur Weinkultur gehören, darf ich Sie als erstes fragen, ob der neue Generalsekretär des PEN die bierernsten Mienen im Club der Schriftsteller (nach den Streitigkeiten der letzten Jahre) bereits mit pfälzischen und deutschen Weinen auf einen Pfad der Weinfröhlichkeit und einer genießenden Weinkultur bringen konnte?

Humor, Fröhlichkeit und Wein gehören zur Schriftstellerei

Michael Landgra
f: Humor, Fröhlichkeit und Wein – das gehört ebenfalls zur Schriftstellerei. Ohne Humor und Freude am Schreiben ist die oft jahrelange literarische Schwangerschaft mit Recherche, dem Verfassen und den lästigen Korrekturschleifen bis zur Geburt eines Buches kaum zu stemmen. Dabei ist es egal, ob es ein Roman oder ein Lyrikband, ein Sach-, Schulbuch oder wissenschaftliches Werk ist. Beim Nachdenken über einen Plot und natürlich beim Feiern des Erscheinens spielt ein feiner Tropfen Wein zumindest bei den meisten Schriftstellerinnen und Schriftstellern, mit denen ich es zu tun habe, eine wichtige Rolle. Auf den Jahrestagungen des PEN Deutschland, wie zuletzt in Tübingen 2023, wird am Abend Wein getrunken, nur selten Bier, daher würde ich uns eher als weinselig beschreiben. Und bei dem angesprochenen Konflikt in Gotha 2022 hatte das Kulturamt der Stadt sogar extra Wein aus der Pfalz besorgt. Geholfen hat es leider nichts, und dass Herr Yücel am Abend nach seinem Abgang im Wutausbruch ein Glas dieses Weins einem PEN-Mitglied sogar auf die Jacke geschüttet hat, bleibt einem Pfälzer nachhaltig in Erinnerung. Da ich auch Kulturbotschafter von Neustadt an der Weinstraße bin, darf ich übrigens bei meinen vielen Begegnungen wichtigen Leuten eine Flasche des offiziellen Neustädter Gästeführerweins verschenken. Meine Rolle als Generalsekretär des PEN Deutschland interpretiere ich also auch als die eines Wein-Botschafters.   

„Deniz Yücel missbraucht Pfälzer Kulturgut als Tatwaffe“

Rudolf Nickenig
: „Deniz Yücel missbraucht Pfälzer Kulturgut als Tatwaffe“, das wäre eine Schlagzeile als „Yücel schmeißt hin“ gewesen. Aber bleiben wir beim kulturellen Umgang mit Wein und bei der Verbindung von Weinkultur und Literatur. Was verstehen wir unter „Weinliteratur“. Wenn ich diesen Begriff googele, dann bekomme ich Weinfachbücher genannt. Das entspricht nicht meinen Erwartungen. Gibt es in der heutigen Zeit noch eine belletristische Literatur, die Einfluss auf die Weinkultur nimmt oder die Sie als ihren Bestandteil ansehen würden?

Michael Landgraf: Aus Sicht eines in einer Weinregion lebenden Literaten sehe ich eine enge Verzahnung von Literatur und Weinkultur. So gibt es eine Vielzahl von Wein-Krimis. Einer der erfolgreichsten Regionalkrimiautoren ist beispielsweise Harald Schneider. Von ihm erscheint 2024 ein Krimi namens „Weingier“ (Gmeiner-Verlag), den ich inhaltlich als Berater begleitet habe. Dafür hat mir der Schriftsteller eine Rolle im Roman verpasst, wie auch anderen Größen der Weinszene in der Pfalz, beispielsweise Jochen Hamatschek, ebenfalls GGW-Mitglied sowie Autor von Weinfachbüchern, aber auch von Weinkrimis. Ein weiterer hier zu nennender Autor ist der ausgebildete Wein- und Kulturbotschafter Uwe Ittensohn. Ich selbst habe an der Krimi-Anthologie „Schorleblues“ (Wellhöfer-Verlag) mitgewirkt, doch ist mein Genre eher das Sachbuch und der historische Roman. In meinem 2016 erschienenen Roman „Der Protestant“ (Wellhöfer-Verlag) spüre ich in den Jahren 1500 bis 1529 dem Leben eines Weinhändlersohnes nach und lasse dabei die Lesenden auch in die Weinwelt von damals eintauchen. Bei uns gab es damals den Gänsfüßer-Wein, aber auch das Leben der Weinbauern wird beschrieben, denn der Bauernkrieg in unserer Region begann in den Weinorten Nußdorf und Bockenheim. Eine weitere Besonderheit habe ich da eingebaut: durch Wein und Weinessig wollte der Gelehrte Florenz von Venningen Gegenmittel gegen Seuchen wie die Pest entwickeln. An diese Tradition knüpft heute das Wein- und Essiggut Doktorenhof in Venningen an. Beispiele wie diese findet man sicher in allen Weinregionen. Gerade für die Belletristik sind der Wein und die Weinkultur damals und heute ein spannendes Feld.

Rudolf Nickenig: In früheren Zeiten wurden Schriftsteller mit dem deutschen Weinkulturpreis ausgezeichnet: 1955: Carl Zuckmayer; 1961: Karl Christoffel; 1965: Herrmann Mostar; 1976: Hans-Jörg Koch; 1978: Walter Henkels; 1981: Hermann Jung; u.a.m. Seit 2002 wurde der Preis nicht mehr vergeben. Ist das Thema Wein den Schriftstellern verloren gegangen oder hat die Weinbranche die Schriftsteller aus den Augen verloren oder weder noch?

Ist die Liebesbeziehung Wein und Literatur abgekühlt?

Michael Landgraf
: Den zweiten Teil der Frage kann ich nicht beantworten, die richtet sich an die zuständigen Gremien der Weinbranche. Zum ersten Teil der Frage kann ich nur feststellen, dass das Thema Wein den Schriftstellerinnen und Schriftstellern sicherlich nicht verloren gegangen ist. Allerdings gibt es meines Wissens keinen, der wie ich derzeit institutionell eine Brücke zwischen Weininstitution und Schriftstellervereinigung schlägt und dem das daher auffallen könnte. Der Weinkulturpreis ist keiner, der in der Literaturszene bekannt ist, obwohl es in Sachen Preisen permanent Nachrichten über den Buschfunk der Literaturverbände gibt.

Eine prinzipielle Frage ist für mich an dieser Stelle, was die Weinbranche und die Literatur unter Kultur verstehen. Vielleicht kommt daher die geringe Wahrnehmung, weil es einen unterschiedlichen Kulturbegriff gibt. Beim Deutschen Kulturrat haben wir einen Kulturbegriff, der sich auf die klassischen Kultur-Genres Kunst, Musik, Literatur, Theater, Museen bis zum Film und der Fotographie bezieht. In jedem dieser Genres spielt Wein als Kulturgut eine Rolle. In der Weinbranche hingegen versteht man unter Weinkultur vornehmlich den methodischen Anbau von Weinreben. Das Deutsche Weininstitut weist unter der Rubrik „Höhepunkte der Weinkultur“ auf touristische Ziele hin, bei denen man zur Geschichte des Weinbaus viel lernen kann. Es fehlt aber der Brückenschlag zum allgemeinen Kulturbegriff des Deutschen Kulturrats, bei dem es darum geht, Kultur als Staatsziel sogar im Grundgesetz zu verankern. Doch ist es nicht wunderbar, dass das Deutsche eine Lese im doppelten Sinne kennt, nämlich die Weinlese und die Buchlese? Von Ihnen, Herr Nickenig, stammt in Ihrem Buch „Persönlichkeiten der Weinkultur aus Rheinland-Nassau“ ein feiner Brückenschlag, denn Sie schreiben, dass es da um Menschen gehen soll, die sich „um die Pflege der Weinkultur vom Wingert zur Poesie verdient gemacht haben.“ Hieran anzuknüpfen könnte doch eine gute Perspektive für die Zukunft des Weinkulturpreises sein.  

Haben Weinleute und Schriftsteller einen unterschiedliches Kulturverständnis?

Rudolf Nickenig
: In der Tat sehe ich auch diese Diskrepanz im Verständnis von Kultur. Dazu habe ich mich in der Reihe „Aspekte der Weinkultur“ bereits mehrfach geäußert. https://www.deutscheweinakademie.de/kultur-gesellschaft/weinkulturelle-aspekte. Wenn wir in der Deutschen Weinakademie von Weinkultur sprechen, dann denken wir vor allem an einen zivilisierten, verantwortungsbewussten Umgang mit dem Wein. Was die Branche unter Weinkultur heute versteht, darüber wird viel zu wenig gesprochen. Vielleicht würde ihr helfen, wenn sie den Gesprächsfaden mit den Kulturschaffenden in der Literatur, in der Musik- und Filmszene etc. knüpfen würde. Sie sind ja so ein Anknüpfungspunkt!     

Michael Landgraf: In der Tat bin ich Mitglied einer Wein-Institution geworden, nachdem ich von dieser als Schriftsteller mit einem Bestseller zu einer Lesung eingeladen wurde. Konkret führt die Weinbruderschaft der Pfalz seit ihrer Gründung 1954 die sogenannte „Literarische Weinstunde“ durch. Einmal im Jahr wird ein bekannter Literat oder eine Literatin eingeladen, einen Abend zu gestalten. Natürlich gibt es dabei auch Essen und Wein. Ich wurde Mitglied der Weinbruderschaft und organisiere inzwischen selbst die Literarische Weinstunde im Auftrag des Vorstandes. Im Juni 2023 war PEN-Präsident José F.A. Oliver, ein vieldekorierter Poet, der u.a. mit dem Heinrich-Böll-Preis ausgezeichnet wurde, bei uns zu Gast. Er gilt als einer der international bekanntesten Lyriker und arbeitet übrigens gerade mit dem renommierten Romanautor Ilija Trojanow an einem Wein-Buchprojekt. Im Jahr zuvor hatten wir die vielfach preisgekrönte Mundart-Buchautorin Edith Brünnler zu Gast, nächstes Jahr ist die Literarische Weinstunde mit Harald Schneider geplant, der seinen bereits erwähnten Krimi präsentiert, in dem auch die Weinbruderschaft eine Rolle spielt. Vielleicht kann diese Literarische Weinstunde in der Pfalz ja auch Vorbild sein für solche Veranstaltungen anderswo. Ein Schlüssel ist hierbei, die Vielfalt der Literaturgattungen im Blick zu behalten. Ob historische Romane, Lyrik, Mundart-Prosa, Krimi oder Sachbuch: Alle können das Thema Wein und Weinbau bespielen und je auf ihre Weise spannend in Szene setzen und tun es auch.

Rudolf Nickenig: Das lassen wir ohne weitere Kommentierung einfach so stehen und widmen uns dem Rotwein von der Ahr, den ich mitgebracht habe. Eine weitere Brücke zu unserem nächsten Treffen bei der Herbsttagung der Gesellschaft für Geschichte des Weines am 14. Oktober, bei der es nicht nur um neue Möglichkeiten der Weinkulturvermittlung, sondern auch um das Thema Erinnerungskultur geht – und dazu gehört auch von den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen, auch aus der katastrophalen Flut an der Ahr. Der Klimawandel und seine Folgen für den Weinbau bieten sicher Stoff für neue spannende Weinliteratur.

 

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Kulturthemen

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