Wissenschaftlicher
BEIRAT

Deutsche Weinakademie

Gibt es einen risikofreien Konsum?

Eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats zu Alkoholische Getränke und Krankheiten: Gibt es einen risikofreien Konsum?

Zusammenfassung:  
Eine aktuelle Studie1 - publiziert im Lancet - zum Alkoholkonsum und Krankheitsrisiko kam zu dem Schluss, dass selbst ein wenig Alkohol nicht gesund ist und es demnach keinen risikofreien Konsum gibt.  

Aufgrund ihrer Ergebnisse aus 694 Datenquellen und 592 Studien resümieren die Autoren der GBD (Global Burden of Disease)-Studie, dass gesundheitliche Risiken, vor allem in Bezug auf Krebs, die gesundheitlichen Vorteile eines moderaten Alkoholkonsums überwiegen.  

In der Gesamtbetrachtung gäbe es keinen positiven Effekt leichten oder moderaten Konsums. 

Entsprechend fordern sie, dass der Alkoholkonsum global von den Gesetzgebern reguliert werden solle, um den Gesamtalkoholkonsum aller Bevölkerungen zu senken.   

Der Wissenschaftliche Beirat der Deutschen Weinakademie nimmt wie folgt zur Studie Stellung: 

  • Die GBD-Studie ist keine neue, eigenständige Untersuchung, sondern ein statistisches Modell, das sich auf gesammelte Daten aus früheren Unter-suchungen bezieht. 
  • Entsprechend zeigt die GBD-Studie keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern bestätigt die Ergebnisse früherer Studien, wonach diverse gesundheitliche Risiken (vor allem das Krebsrisiko) mit steigendem Konsum zunehmen, andererseits aber bei leichtem bis moderatem Genuss gesund-heitliche Vorteile (vor allem im Hinblick auf Typ-2-Diabetes, koronare Herz-krankheit und Sterblichkeit) nachweisbar sind. 
  • Die GBD-Studie erhebt den Anspruch, eine globale Bewertung der Alkoholwirkung zu präsentieren und geht in ihrem Modell davon aus, dass gleiche Mengen Alkohol in allen Ländern der Welt trotz unterschiedlicher Umwelt- und Lebens- und Ernährungsbedingungen gleiche Wirkungen erzielen. Im Gegensatz zu bisherigen Langzeitbeobachtungsstudien und Meta-Analysen*, die für leichten bis moderaten Alkohol-/Weinkonsum eine Minderung der mit Abstand häufigsten Todesursache (Herzinfarkt) und der Gesamtsterblichkeit ausweisen, bündelt die GBD-Studie zahlreiche mehr oder minder alkohol-assoziierten Gesundheitsrisiken. Dies geschieht sowohl für in Industriestaaten seltene Erkrankungen und Gesundheitsrisiken (wie Tuberkulose) im selben Risikomaßstab (relatives Risiko) wie die häufigsten Todesursachen in In-dustriestaaten (wie Diabetes und ischämische Herzkrankheit) - verzichtet aber auf die Darstellung der Gesamtsterblichkeit. 
  • Die Meta-Analysen der bislang durchgeführten Studien aus Industrieländern zum protektiven Effekt eines moderaten Alkoholkonsums sind für die Bewohner dieser Länder nach wie vor gültig – und zwar auf höherem Evidenzniveau, da die GBD-Daten lediglich auf modellierten Schätzungen weltweiter Daten inklusive ärmerer Entwicklungsländer beruhen. 
  • Die Gesetzgeber sollten für die Risikobewertung nicht weltweite Durchschnittswerte verwenden, sondern Daten, die relevant für die entsprechende Bevölkerung sind. 
  • Unter Berücksichtigung der Gesamtdatenlage gibt es auf Grund der GBD-Studie keinen Anlass, die im Wine in Moderation-Programm als moderat definierten Konsumwerte in Frage zu stellen. Diese liegen mit maximal 20 g Alkohol pro Tag für die Frau und bis zu 30 g für den Mann im internationalen Durchschnitt und sind auch weiterhin zu verantworten.

*Meta-Analyse: Zusammenfassung sowie quantitative und statistische Aufarbeitung von mehreren Primär-Untersuchungen.

 

Anhang mit Detailfragen: 

Was wurde untersucht?
Das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME, Seattle, finanziert von der Bill & Melinda Gates Stiftung) hat ein umfangreiches und komplexes statistisches Modell entwickelt und damit eine gewaltige globale Datenmenge (Schätzungen zum Trink-verhalten, durchschnittlicher Alkoholkonsum und alkoholassoziierte Gesundheits-probleme) analysiert.

Die Forscher werteten:

  •  694 „Datenquellen“ zum weltweiten Alkoholkonsum und
  •  592 Studien zu Gesundheitsrisiken von Alkohol (in 195 Ländern zwischen 1990 und 2016) aus.
     

Studienkategorie, Evidenzklasse, Empfehlungsgrad:
Nicht-experimentelle, beschreibende Korrelationsstudie
Evidenzklasse III, Empfehlungsgrad 0 2

Ergebnisse:   

  • Laut Bericht waren im Jahr 2016 2,8 Millionen aller Todesfälle (4,85%) weltweit alkoholbedingt. 
  • Im Gegensatz zu bisherigen Studien, die Wirkungen von Alkohol auf den allgemeinen Gesundheitszustand und die Gesamtsterblichkeit überprüften, werden hier die gesundheitlichen Auswirkungen von Alkohol auf 23 definierte Gesundheitsstörungen (outcomes **) analysiert.

Durch das Poolen der 23 Gesundheitsstörungen fanden die Wissenschaftler ein 0,5% erhöhtes relatives Risiko für moderate Trinker (bis zu 1 Standard-Drink pro Tag) im Vergleich zu Abstinenten. Das Risiko erhöhte sich auf 7% bei 2 Drinks pro Tag und auf 37% bei 5 Drinks pro Tag.

In absoluten Zahlen bedeutet dies:

  •  Für jeweils 100,000 Personen, die pro Tag einen Drink konsumieren, können 918 mit einem erhöhten Risiko rechnen, im Laufe eines Jahres, eine der 23 alkoholbedingten Krankheiten zu entwickeln.
  • Betrachtet man Nichttrinker, so haben 914 ein entsprechendes Krankheitsrisiko, ohne alkoholische Getränke zu konsumieren.
  • Das heißt 99,082 Personen sind nicht davon betroffen.
  • Gemäß der vorliegenden Studie entwickeln nur 4 von 100,000 Personen, die ein alkoholisches Getränk pro Tag zu sich nehmen, eventuell ein gesundheitliches alkoholbedingtes Problem.
  • Bei zwei Drinks pro Tag erhöht sich die Zahl auf 977.
  • Selbst fünf Drinks pro Tag - eine eindeutig zu hohe Menge - bleibt die Mehrheit der Personen unbeeinträchtigt.  

Bisherige epidemiologische und prospektive Studien, bei denen gesundheitliche Vorteile bei moderatem Konsum beobachtet wurden, werden aufgrund dieser Ergebnisse nicht etwa entkräftet, sondern bestätigt (J-Kurve), wie Abbildung 1 am Beispiel Diabetes und Koronare Herzkrankheit aus dem Appendix I der GBD- Studie zeigen.

Die Studie weist nach Ansicht des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Weinakademie jedoch zahlreiche gravierende Schwächen und Fehler auf: 

Einige werden im Diskussionsteil von den Autoren sogar eingeräumt, sind aber zu ergänzen: 

  1. Schätzungen statt Messungen
    So sind die angegebenen Trinkmengen trotz aller Modellierung lediglich auf Verkaufszahlen basierte Schätzungen.  
  2. Trinkmuster unberücksichtigt
    Trinkmuster (binge vs. moderat/regelmäßig) bleiben unberücksichtigt. 
  3. Keine messbaren klinischen Endpunkte
    Die „outcomes“ sind keine messbaren klinischen Endpunkte (wie Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabeteskomplikationen etc.), sondern eine willkürlich definierte heterogene Gruppe von Gesundheitsstörungen, die mit Alkoholkonsum assoziiert sind (wie z.B**). 
  4. Keine Angabe der absoluten Risiken
    Für die Beurteilung von Krankheitsrisiken oder Effektstärken sind absolute Risiken anzugeben und nicht relative (das ist nicht nur wissenschaftlich falsch, sondern ein gravierender Verstoß gegen die Lancet guidelines for meta-analyses).  
  5. Fehlende länderspezifische Aspekte
    Der kulturelle Kontext, Ernährungs- und Trinkmuster sowie Lebensstilfaktoren bleiben unberücksichtigt. 
  6. Keine Unterscheidung zwischen den alkoholischen Getränken
    Die unterschiedlichen Auswirkungen destillierter (Spirituosen) und vergorener (Wein, Bier) Getränke bleiben unberücksichtigt.
  7. Geringer Evidenzgrad
    Entscheidend sind aber der geringe Evidenzgrad und der fehlende Empfehlungsgrad. Es handelt sich um eine nicht-experimentelle, beschreibende Korrelationsstudie, die nach Sackett2 über die Evidenzklasse III und den Empfehlungsgrad 0 nicht hinauskommt. Man darf sich verwundert fragen, warum offenbar weder Gutachter noch Herausgeber des Lancet die Autoren daran gehindert haben, Studien höherer Evidenzgrade für ungültig zu erklären und ohne Evidenzbasis globale Empfehlungen auszusprechen.    

Meta-Analyse: Zusammenfassung sowie quantitative und statistische Aufarbeitung von mehreren Primär-Untersuchungen.

**wie z.B. Hypertensive und koronare Herzerkrankung, Diabetes, Leberzirrhose, Gehirnblutung, Tuberkulose, Infektion der  unteren Atemwege, Krebserkrankungen, zwischenmenschliche Gewalt, Verletzung

(1) Quellen

Alcohol use and global burden of disease, 1990-2016; GBD 2016 Alcohol Collaborators Study, August 2018

https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)31310-2/fulltext 

Sackett DL et al. Evidence based medicine: what it is and what it isn't. BMJ 1996;312:71-72.

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