Auf die Frage, wie sich der Konsum alkoholischer Getränke auf die Herzgesundheit auswirkt, gibt es keine pauschale Antwort. Zu vielfältig sind die Herzbeschwerden und zu facettenreich die Konsumgewohnheiten der Menschen, insbesondere global gesehen. Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass heftige Trinkepisoden und ein hoher Konsum dem Herzen schaden. Über die Effekte moderater Trinkmengen wird jedoch weiter disputiert.
Moderater Konsum und Herzgesundheit: J-Kurve erneut bestätigt
Über 100 Beobachtungsstudien haben sich mit diesem Thema befasst. In vielen ging ein moderater Konsum alkoholischer Getränke (mindestens 50 bis 250 g Alkohol pro Woche), insbesondere ein verantwortungsvoller Weingenuss, mit günstigen Effekten auf die Herz- und Gefäßgesundheit einher: Sowohl Herzinfarkte als auch andere ischämische Herzkrankheiten* kamen bei diesen Mengen, die etwa 0,5 bis 2,5 l Wein wöchentlich entsprechen, seltener vor. Allerdings fanden sogenannte Mendelsche Randomisierungsstudien (MR**) divergierende Ergebnisse. Das internationale Forschungsteam der Global Burden of Disease (GBD)-Studie untersuchte nun, ob diese Diskrepanzen auf methodischen Mängeln beruhen und ob sich mithilfe einer neuen statistischen Methode eindeutigere Ergebnisse erzielen lassen.
Neue Auswertungsmethode untermauert J-Kurve
Anhand einer kürzlich neu entwickelten Methode für die zusammenfassende Auswertung von Einzelstudien (Burden of Proof-/Beweislast-Analysen***) wurden dazu 122 Beobachtungsstudien und 4 MR reanalysiert. Insgesamt gingen Daten von 7,6 Millionen Menschen in die Auswertungen ein. Während die MR-Studien keine Zusammenhänge fanden, was an methodischen Problemen liegen kann, bestätigten die Beobachtungsstudien einmal mehr die J-förmige Beziehung zwischen dem Konsum alkoholischer Getränke und der Herzgesundheit: Ein Konsum bis zu 50 g Alkohol täglich war mit verringerten Risiken für ischämische Herzkrankheiten (IHD) und Herzinfarkte assoziiert. Dies entspräche bis zu einem halben Liter Wein (12.5 Vol.-%).
Das Risiko eines Herzinfarktes war bei diesen Mengen bis zu 14 % reduziert, bei den Männern auch das Risiko für alle IHD. Anhand einer 5-Sterne-Skala für die Stärke der gefundenen Evidenzen erhielten diese Risikoreduktionen mit 3 Sternen eine gute Bewertung. Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass es sich um eine konservative Auslegung der vorhandenen Daten handelt. Die Risikosenkungen könnten also durchaus noch deutlicher ausfallen, etwa, wenn die Getränkeart und die Trinkmuster berücksichtigt würden. Dies war in der aktuellen Analyse nicht geschehen.
J-Kurve auch auf globaler Ebene im Fokus
Die mithilfe der neuen statistischen Methode ausgewerteten Beobachtungsstudien gehen auch in die globale Bewertung von Gesundheitsrisiken durch die Global Burden of Disease-Studien (GBD) ein. Seit der GBD-Auswertung von 2018 dominierte die Aussage, dass es keine gesundheitlich unbedenkliche Trinkmenge gebe. Der jüngste Bericht der GBD-Studiengruppe aus dem Jahr 2021 beschreibt erstmals, dass ein moderater Konsum mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden sein kann, auch wenn es bei hohem Konsum unstrittig Gesundheitsrisiken gibt. Genau das beschreibt die J-Kurve: bis zu einer bestimmten Dosis zeigen moderate Konsumenten im Vergleich zu Nichttrinkern verringerte Gesundheitsrisiken beim Konsum alkoholischer Getränke, bei großen Mengen hingegen treten gesundheitliche Schädigungen auf.
In der aktuellen GBD-Studie rangiert der hohe Konsum alkoholischer Getränke erst an 15. Stelle der globalen Risikofaktoren für Ischämische Herzkrankheiten und an 10. Stelle aller globalen Gesundheitsrisiken. In Zentraleuropa und Westeuropa rangiert er jeweils auf Platz 6 und 5 aller Risiken. Auf europäischer Ebene stellen ein hoher Blutdruck, Rauchen, Zucker- und Fettstoffwechselstörungen sowie ein hoher Body-Mass-Index bedeutendere Risiken dar, im globalen Rahmen auch die Luftverschmutzung. Ein moderater Konsum alkoholischer Getränke wird im aktuellen GBD-Bericht nicht erwähnt und stellt somit kein öffentliches Gesundheitsrisiko dar.
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* Ischämische Herzkrankheiten (IHD = Ischemic Heart Diseases) sind Erkrankungen der Herzkranzgefäße, sie werden auch als koronare Herzkrankheiten bezeichnet. Ausgelöst durch Arteriosklerose, also eine Gefäßverengung („Verkalkung“), kommt es in der Folge zu Herzinfarkten, zum plötzlichen Herztod, zu Herzschwäche oder Herzrhythmusstörungen. IHD gehören zu den häufigsten Todesursachen weltweit.
** Unter einer Mendelschen Randomisierung (MR) versteht man eine Studienmethode, die genetische Eigenschaften der Menschen nutzt. Sie soll es erlauben, die Effekte veränderbarer Einflüsse wie z. B. des Lebensstils auf die Gesundheit besser zu bewerten. Da eine MR weniger Störfaktoren und Verzerrungen unterliegt als epidemiologische Studien, geht man vielfach davon aus, dass sie geeignet ist, um kausale Beziehung aufzuzeigen. Jedoch sind auch MR-Studien nicht frei von methodischen Problemen. So werden zur Erforschung des Konsums alkoholischer Getränke oft Genabschnitte (SNPs) des Enzyms Alkoholdehydrogenase herangezogen, das zum Abbau von Ethanol benötigt wird. Die bisherigen MR-Studien stammen meist aus asiatischen Ländern, von deren Bevölkerung bekannt ist, dass sie aufgrund ihrer genetischen Ausstattung in Sachen Alkoholabbau besonders empfindlich sind. Deren Ergebnisse lassen sich also nicht verallgemeinern.
*** Mithilfe der sogenannten Burden of Proof-Methodik(Beweislast-Methode) lassen sich Beweise für Risiken in Form diverser Risiko-Ergebnis-Paare besser verstehen, bewerten und zusammenzufassen. Also beispielsweise, ob eine salzreiche Diät zu Bluthochdruck führt oder ob ein moderater Weinkonsum vor Herz- und Gefäßerkrankungen schützen kann. Die neue Methode bietet eine gute Grundlage, z. B. für jene Risikoanalysen, die im Rahmen der regelmäßigen GBD-Studien (Global Burden of Diseases, Injuries, and Risk Factors Study) angewendet werden.
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Quellen: Carr, S et al.: A burden of proof study on alcohol consumption and ischemic heart disease. Nature Communications 2024;15:4082 und GBD 2021 Risk Factors Collaborators: Global Burden and strength of evidence for 88 risk factors in 204 countries and 811 subnational locations, 1990 – 2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet 2024;403:2163-2203
sowie zur Methodik: Richmond, RC, Smith, GD: Mendelian Randomization: Concepts and Scope. Cold Spring Harb Perspect Med 2022;12:a040501 und Zheng, P et al.: The Burden of Proof studies: assessing the evidence of risk. Nat Med 2022;28:2038-2044