Wissenschaftlicher
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Stellungnahmen

Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 10

Vor 100 Jahren - Man lächle da nicht und unterschätze nicht die Gefahr

Vor rund 100 Jahren auf dem 32. Deutschen Weinbaukongress 1925 in Koblenz war eines der Hauptreferate „Der Weinbau und die Abstinenzbewegung“. Der Referent, Dr. Löckermann aus Geisenheim, verwies eingangs darauf, dass diese Thematik nun zum wiederholten Male den deutschen Weinbaukongress beschäftige. Er selbst hatte auf dem 27. Weinbaukongresses in Mainz im Jahre 1913 zur gleichen Thematik referiert. Eingangs betonte er, dass er sich nicht in der Lage sehe, in der besonders früher vielfach üblichen humoristisch-spöttischen Weise das Problem zu behandeln. Er rief den Zuhörern im Saal warnend zu: „Man lächle da nicht und unterschätze nicht die Gefahr.“ Die Branche hat offenbar schon damals die Gefahren, die von der ideologischen Abstinenzbewegung ausgingen, unterschätzt und die Warnungen vor deren Aktivitäten nicht ernst genommen. Leider hat sich daran bei vielen in der Weinbranche wenig geändert. Allzulange wurden die Gefahren der geradezu fundamentalistischen Anti-Alkoholbewegung nicht ernst genommen!

Alkoholkonsum: Eine Debatte, die sich seit 100 Jahren wiederholt
Wenn man sich heute im Jahr 2025 die öffentliche Debatte über den angeblich ab dem ersten Tropfen schädlichen Alkoholgenuss („no safe level“) anschaut, erinnert manches an die Auseinandersetzungen, wie sie bereits vor 100 Jahren geführt worden sind. Löckermann bezeichnete das Vorgehen der Alkoholgegner als außerordentlich geschickt. Er verwies dabei auf die Taktik, das Thema Konsum alkoholischer Getränke mit anderen sozialen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Themen zu verbinden. Die Verknüpfung mit staatlicher Reglementierung und Steuerfragen war und ist eine gefährliche Mixtur, die in Zeiten leerer öffentlicher Kassen durchaus in der Politik verfangen kann. Auch die strategisch durchtriebene Anbindung an andere Gesundheitsfragen, den sogenannten nicht übertragbaren Krankheiten, wozu auch Krebserkrankungen gehören, war ein taktischer Schachzug der Alkoholgegner, das Thema Alkoholkonsum generell zu stigmatisieren. Metastudien mit hunderttausenden von Probanden, die nach wie vor eine Differenzierung von moderatem und übermäßigem Konsum in unschädlich, vielleicht sogar zuträglich, wenig bis sehr schädlich (die berühmte J-Kurve) belegen, werden einfach vom Tisch gewischt. 

Es ist eine gefährliche Entwicklung, wenn Gesundheitsbehörden nur die wissenschaftlichen Ergebnisse akzeptieren, die ihnen in den Kram passen. In der heutigen Zeit, in der über das rechte Maß an staatlichen Regelungen in vielen Bereichen heftig gestritten wird, macht es durchaus Sinn, an die Ausführungen von Löckermann zur Alkoholpolitik vor 100 Jahren zu erinnern: „Nur freiwillige persönliche Annahme der Wahrheiten, die Wissenschaft und Praxis zutage fördern, nicht gesetzlicher Zwang, der den einzelnen unfrei macht, eine Schwächung seiner Willenskraft und seines Selbstbewusstseins bedeutet, können dauernd bessere Zustände schaffen.“ 

Alle alkoholischen Getränke waren und sind betroffen
Die Ausführungen von Löckermann auf dem Weinbaukongresses hatten durchaus kontroverse Diskussionen ausgelöst. Einige Weinbauvertreter meinten, dass die Alkoholgegner nicht den Wein, vielleicht noch nicht einmal das Bier, sondern vor allem die Spirituosen im Visier hätten. Der Referent erwiderte darauf in einer Weise, die aufgrund des Verhaltens der Weinbranche in den letzten Jahren, noch immer gültig bleibt: „Ich warne ausdrücklich und dringend vor der Propagierung derartiger Gedankengänge, weil ich in ihnen den Ausdruck einer überaus verhängnisvollen Sankt Florianpolitik sehe. Demgegenüber ist mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die Abstinenten nicht den Alkohol im Bier oder den Alkohol im Wein oder den Alkohol im Branntwein bekämpfen, sondern den Alkohol überhaupt!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Kultur & Gesellschaft Der Wein erzählt Geschichte(n) 2025