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Interview mit Prof. Dr. Karl Vocelka, Universität Wien

Vorbildliches Buchprojekt „Wein in Österreich – Die Geschichte“
Auf der Tagung der Gesellschaft für Geschichte des Weines (GGW) in Retz/Niederösterreich hatte Professor Dr. Karl Vocelka das Buch „Wein in Österreich – die Geschichte“ vorgestellt. Er ist Herausgeber und wissenschaftlicher Leiter dieses beeindruckenden Werks, beindruckend nicht nur wegen seiner 670 Seiten und seiner ansprechenden und wertigen Gestaltung, sondern vor allem wegen des breiten Spektrums der weingeschichtlichen, weinkulturellen und weinwirtschaftlichen Themen, bearbeitet von der Crème de la Crème der österreichischen Weinwissenschaft und Weinwirtschaft und darüber hinaus.

Der Präsident der GGW, Prof. Dr. Andreas Weber, der auch einen Beitrag über die Rolle der bayerischen Klöster und Bistümer in diesem Werk beisteuerte, bezeichnete das Buch als Vorbild und Anstoß für die deutsche Weinbranche, ein ähnliches Projekt ins Auge zu fassen. Gründe genug für Rudolf Nickenig, um im Auftrag der Deutschen Weinakademie (DWA) mit Professor Vocelka über dieses Werk zu sprechen.

RN:     Lieber Herr Professor Vocelca, Sie verweisen in Ihrem Vorwort darauf, dass die Idee für dieses ambitionierte Projekt von der Österreich Weinmarketing ausging. Ist das Buch und seine Finanzierung demzufolge ein anspruchsvolles Instrument des österreichischen Weinmarketings oder ein großzügiges Förderungsprojekt der österreichischen Weinmarketing-Gesellschaft für die Weinkulturwissenschaft und Geschichtswissenschaft?

KV:     Genau genommen ist es beides. Im Vordergrund stand die Idee von Willi Klinger, des langjährigen Geschäftsführers von Wein Österreich, dessen Wunsch, ein solches Buch zu gestalten, schon lange bestand. Ohne seinen Enthusiasmus, seine fachliche Beratung und seine Fähigkeit, die Arbeitsgruppe bei bester Laune zu halten, wäre das Projekt nicht in dieser Form möglich gewesen. Letztendlich wurde das Buch Realität; es entstand durch die Mitarbeit von ca. 40 Spezialistinnen und Spezialisten und wurde von meiner Frau Michaela und mir betreut und organisiert. Sicherlich spielt der Einsatz des Buches im Marketing der österreichischen Weine ebenfalls eine Rolle. Wein Österreich hat dieses Projekt in jeder Hinsicht gefördert.

RN:     Wer ist die Zielgruppe? Wer soll das Buch kaufen und lesen?

KV:      Sicherlich sind Menschen, die beruflich mit Wein zu tun haben, im Mittelpunkt der Leser. Aber auch Interessenten für Wein und alle, die sich für Geschichte, speziell die Geschichte des Weinbaus in Österreich interessieren, sind ein Teil der Zielgruppe. Zusätzlich zur deutschsprachigen Ausgabe wurde zeitgleich auch eine etwas verkürzte (510 Seiten) Ausgabe in englischer Sprache publiziert, die weit über den österreichischen Raum wirken kann und soll.

„Buch wurde auch in englischer Sprache publiziert!“

RN:     In diesem Buch wird immer wieder eine Brücke aus der Weingeschichte in das Hier und Heute oder sogar in die Zukunft geschlagen: bei der Weinbau- und Kellertechnik, bei der Weindistribution, dem Weinhandel und beim Weinkonsum. Welche konzeptionelle Idee steckt dahinter? Das Ziel, eine umfassende Weinchronik zu schreiben? Den Ist-Zustand der österreichischen Weinbranche historisch zu begründen? Sollen die heutigen und zukünftigen Akteure in der Weinwirtschaft aus der Weinhistorie etwas lernen können?

KV:      Im Vordergrund stand und steht in erster Linie die Erforschung und lesbare Darstellung der Weingeschichte des Landes, ein Thema, das bis dahin eher vernachlässigt war. Sicherlich hat die Gegenwart auch mit der Vergangenheit zu tun. So wirkte sich die schlimme Krise mit dem Weinskandal 1985 letztlich sehr positiv auf die heutige Produktion aus. Österreich bekam das strengste Weingesetz und vor allem die jüngere Generation der Hauer [Anm. RN: Winzer] hat sich vom quantitativen Produzieren dem qualitativen Zugang zugewandt. Der internationale Erfolg der österreichischen Weine, der auch deutlich an den Exportzahlen ablesbar ist, wäre ohne diese Krise nicht zustande gekommen. Wie weit man aus der Geschichte lernen kann, ist ein immer wieder diskutiertes und nicht lösbares Problem in allen Bereichen des Fachs Geschichte. Sicherlich hat man durch wissenschaftliche und technische Schritte oder durch Geschmacksveränderung „gelernt“, aber zu glauben, dass man nur mit einer Kenntnis der Vergangenheit allein zu besseren Resultaten kommt, sehe ich etwas skeptisch.

„Schreckliche, peinliche Themen werden nicht unter den Teppich gekehrt.“

RN:     Sie bzw. Ihre Autoren packen auch heiße Themen an, wie zum Beispiel den Weinskandal oder die nationalsozialistische Vergangenheit mit der Arisierung von jüdischem Besitz. Ist die historische Aufarbeitung dieser dunklen Seiten weitgehend abgearbeitet oder bleibt hier weiter ein Arbeitsfeld für unabhängige Historiker?

KV:      Erfreulicher Weise hat die moderne Geschichtsschreibung es aufgegeben, schreckliche, peinliche Themen unter den Teppich zu kehren. Die moderne, kritische Forschung – und das spiegelt sich in diesem Buch – geht diesen Fragen auf den Grund. So ist es kein Tabu, vom Weinskandal zu schreiben, und auch die besonders heiklen Themen der Zeit des Nationalsozialismus in Österreich nach dem Anschluss 1938 wurden neu aufgearbeitet. Ein gutes Beispiel ist der Beitrag von Daniel Deckers, über Friedrich Zweigelt, in dem er erstmals den Leiter der staatlichen Rebenzüchtung in Klosterneuburg auf Grund bisher nicht bekannter Quellen darstellt. Zweigelt hat den Rotburger, der später als „Zweigelt“ bezeichnet wurde, gezüchtet und damit eine der wichtigsten Rotweinsorten in Österreich geschaffen. Die Tatsache, dass er engagierter Nationalsozialist war, wurde entweder vergessen oder sehr übertrieben dargestellt. In dem Buch wurde auch auf das sehr rezent aufgetauchte Problem der „Arisierung“ von Weingütern und der Politik gegen Juden in anderen Feldern, wie etwa im Weinhandel, eingegangen. Sicherlich besteht noch die Möglichkeit, dass man andere Fälle findet und sie kritisch erforscht. Die Grundlagen bietet dieses Buch über die Weingeschichte Österreichs. Es kann Impulse für weitere Untersuchungen bieten.

„Der Historiker ist nicht der Richter der Vergangenheit!“

RN:     In einem großen Abschnitt Ihres Buches geht es um das Verhältnis „Mensch und Wein“ in seiner kultischen, literarischen und musikalischen Dimension, außerdem um die Betrachtung von Bräuchen und Volkskultur. Nun müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass in der heutigen Zeit der Kulturstatus des Weins in die Kritik geraten ist, zum Teil aus Kreisen der Gesundheitspolitik (WHO, Suchtorganisationen etc.), aber auch in den Medien. Hier geht es vorrangig darum, dass die gesundheitlichen, aber auch die gesellschaftlichen oder kulturellen Vorzüge des Weingenusses in Frage gestellt werden. Müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, dass die Weinbranche, aber auch Weinwissenschaft und Weingeschichtswissenschaft bei geschichtlichen und aktuellen Darstellungen der Weinkultur zu unkritisch war und immer noch ist? Müssen wir z.B. kritischer die bedeutenden Literaten oder Musiker, die das hohe Lied vom Wein gesungen haben und die deshalb gerne von uns zitiert werden, prüfender und differenzierter betrachten, da diese Künstler teilweise einen Weinkonsum pflegten, der nach moderner Auffassung nicht mehr als moderat eingestuft werden kann? Gibt es Lehren aus der Historie, wie wir heute mit dieser Kritik umgehen können und sollen?

KV:      Diese Fragen werfen eine Reihe von Problemen auf, mit denen heutige Forscher konfrontiert sind, über die man viele Seiten schreiben könnte. Hier nur einige Stichworte. Der Vergleich mit früheren Zeiten hat seine Grenzen, vor allem, wenn man mit „moralischen“ oder „moralinsauren“ Perspektiven an die Fragen herangeht. Man kann für die Vergangenheit nicht die Maßstäbe der Gegenwart anlegen, um nur ein Stichwort anzudeuten, da es bis ins 19.Jahrhundert in den meisten Orten kein sauberes Trinkwasser gab, wurden häufig schon am Morgen alkoholische Getränke konsumiert. Aber es gab eben keinen Orangensaft, keinen Kaffee und keinen Tee. Und das heutige Denken, das immer nur versucht, alles, was Menschen Genuss schafft, wie Wein, aber auch Fleischgenuss oder Tabak zu verbieten, kann man nicht in die Vergangenheit projizieren. Irgendwann wird man sogar versuchen, den Messwein, durch Messwasser zu ersetzen. Klarerweise hat sich das Buch auch mit den Gefahren des Alkohols und der Therapie gegen Alkoholismus auseinandergesetzt. Aber letztlich sollte man das Pferd im Stall lassen. Menschen, die mit Genuss ein oder zwei Gläschen Wein trinken, können nicht mit den Säufern, die nicht die Qualität des Alkohols schätzen, in den gleichen Topf geworfen werden. Der Historiker ist nicht der Richter der Vergangenheit und solange Namen von Straßen und Plätzen mit Namen von Kriegshelden, Kommandanten von Armeen Austrofaschisten und Nationalsozialisten existieren, halte ich die Idee, jeden Künstler, der Wein getrunken hat, zum Verbrecher abzustempeln, für absurd. Man soll nicht Schlimmes der Vergangenheit beschönigen, aber man muss auch anerkennen, dass unterschiedliche Epochen unterschiedliche Lebensweisen hatten. Uns steht keine Kritik daran aus unserer Perspektive zu.

RN:     Wohlwissend, dass sich die allgemeine Kulturwissenschaft schwer damit tut, den Begriff Kultur zeitgemäß zu definieren, möchte ich Sie fragen: Wie würden Sie heute Weinkultur definieren? Wo liegen die Grenzen?

KV:      Der Begriff Weinkultur ist sehr vielschichtig, er schließt die Weinproduktion ebenso ein wie den Weinkonsum, der eine Kultur für sich bietet. Vom einfachen Getränk zum Essen bis zur exquisiten Weinverkostung reicht der Bogen. Aber auch die Kulturlandschaft ist geprägt durch Weingärten, Kellergassen und Heurigenlokalen. All das ist ein wesentlicher Bestandteil der Kultur eines Landes, auf die man sozusagen stolz sein kann.

„Gerne hätte ich 1918 bei der Versteigerung des kaiserlichen Weinlagers mitgesteigert…“

RN:      Wenn Sie sich die gesamte Breite des Werkes, das von Ihnen herausgegeben und von vielen weiteren hervorragenden Autoren verfasst wurde, vor Augen führen: was sind Ihre persönlichen Highlights der Weinkultur?

KV:      In Österreich sind die Weißweine wie Gelber Muskateller, Grüner Veltliner sicherlich ein Highlight. Wenn ich vom Ort des Trinkens ausgehe, ist ein kleiner, altmodischer Heuriger (im Gegensatz zu manchen „Schickimicki“-Lokalen) in Wien oder am Land, eine sehr gute Sache. Könnte ich mir als Historiker die Zeit aussuchen, hätte ich nach 1918 bei der Versteigerung des kaiserlichen Weinlagers mitgesteigert – allerdings hatte das vorausgesetzt, dass man viel Geld zur Verfügung hatte. Aber die Weine dieses Kellers waren unglaublich hochwertig.

RN:     Darf ich Sie als Historiker fragen, was Sie von dem Topos „der guten alten Zeit“ halten? Wenn Sie auf die Weingeschichte zurückblicken, in welcher Zeit möchten Sie gelebt haben bzw. leben?

KV:      Die gute alte Zeit ist eine Fiktion, sie war alt, aber nicht immer gut. Für wen war die alte Zeit gut? Wenn man ein Adeliger oder ein Großbourgeois war, ja, aber für die Bauern, Arbeiter, Dienstmädchen etc. war das keine gute alte Zeit. Zwar gab es - verglichen mit heute - manches Gute, aber auch Schreckliches. Ich hätte in dieser Zeit keine schwere Erkrankung, aber auch keine Zahnschmerzen haben wollen, um nur ein Beispiel zu nennen. Eine Kombination der guten Elemente von früher und von heute, stelle ich mir ganz nett vor. Aber letztlich bin ich froh, jetzt und heute zu leben.

RN:     Lieber Herr Professor Vocelka, ich danke für das Gespräch und kann das Buch allen Weinfreunden nur empfehlen, die sich für geschichtliche und aktuelle Fragen der Weinkultur interessieren!

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Kulturthemen

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