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Weinkulturgeschichte: Jahresrückblick und -ausblick

Dr. Christine Krämer, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Geschichte des Weines e.V. erzählt im Interview, was für sie die weinkulturgeschichtlichen Highlights und auch Tiefpunkte im Jahr 2021 waren. Außerdem gibt sie einen Ausblick für das Jahr 2022.

DWA-Interview mit Dr. Christine Krämer, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Geschichte des Weines e.V.

Christine Krämer ist Historikerin mit Schwerpunkt auf Weingeschichte und seit über 25 Jahren im Weinbereich tätig. Nach dem Studium der Weinwirtschaft in Frankreich und Berufsjahren im Weinhandel in der französischen Schweiz war sie Miteigentümerin einer renommierten Stuttgarter Weinhandlung. In Tübingen studierte sie Landesgeschichte und italienische Sprachwissenschaft und promovierte über die Herkunft der Rebsorten in Württemberg. Sie veröffentlicht regelmäßig Publikationen zu weinfachlichen Themen, zur Weingeschichte und Weinkultur und war u.a. Mitkuratorin des Vineum Bodensee. Bei der Mitgliederversammlung vor wenigen Wochen wurde sie in ihrem Amt als Vizepräsidentin unter großem Beifall bestätigt.

DWA: Herzlichen Dank, dass Sie uns in dieser turbulenten Vorweihnachtszeit für ein Gespräch zur Verfügung stehen. Blicken wir auf das Jahr 2021 zurück. Was war für Sie das weinkulturgeschichtliche Highlight des Jahres?

Krämer: Ein Highlight war sicher die im März 2021 erfolgte Eintragung der Weinkultur in Deutschland als Immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Wein ist eines der ältesten Kulturgüter der Welt. Das zentrale Merkmal der Weinkultur ist ihr identitäts- und gemeinschaftsstiftender Charakter. Wein erfüllte mannigfaltige soziale, gesellschaftliche und kulturelle Funktionen, besiegelte Verträge und Bündnisse. Seit Jahrhunderten bestimmt der Weinbau auch in Deutschland den Lebensrhythmus von Menschen in Weinanbauregionen. Die Eintragung ist nicht nur die Anerkennung der über 2000jährigen Geschichte der Weinkultur in Deutschland. Sie stärkt das Engagement derjenigen, die die Weinkultur mit Leben füllen, seien es die Weinkulturbotschafter, die Weinkultur vermitteln oder die Steillagenwinzer, die für den Erhalt der einzigartigen Kulturlandschaft sorgen. Darüber hinaus dürfte die Eintragung in das Verzeichnis der UNESCO dazu anregen, sich mit der Weinkultur zu beschäftigen und sie in künftigen Projekten stärker zu berücksichtigen.

DWA: … und was war für Sie das weinkulturgeschichtliche Debakel des Jahres?

Krämer: Die Flutkatastrophe an der Ahr hat mich sehr betroffen gemacht. Seit über 1200 Jahren wird im Ahrtal Weinbau betrieben. So entstand eine eindrucksvolle Kulturlandschaft, geschaffen von den Winzern, die seit Jahrhunderten die Steilhänge bewirtschaften. Die Ahr ist die Hauptader der Region: Über Jahrhunderte diente der Fluss als Transportweg für den Wein, die Straßen verlaufen im Tal, weshalb die Weinbaubetriebe und Winzergenossenschaften zwangsläufig in Flussnähe angesiedelt sind. Dies wurde ihnen nun zum Verhängnis. Der Wiederaufbau bedeutet eine große Kraftanstrengung für die Winzer, die Gastronomie und alle Menschen im Tal. Um die Weinkulturlandschaft an der Ahr wieder mit Leben zu füllen, ist jetzt die Solidarität aller Weinfreunde gefragt!

DWA: … und dazu erschwerte Corona, nicht nur an der Ahr, sondern überall das weinkulturelle Leben …

Krämer: Für die Weinkultur war das Coronajahr 2021 kein leichtes. Denn das, was Weinkultur ausmacht, nämlich Menschen an einen Tisch zu bringen, durfte vielfach nicht stattfinden. Und wenn Gestalter und Wissenschaftler monate- oder gar jahrelang eine Ausstellung zur Weingeschichte vorbereitet haben und diese dann wegen des Lockdowns nicht gezeigt werden kann, frustriert das und zehrt an den Kräften. Aber es gab Lichtblicke: Die Weinbranche begegnete den Kontaktbeschränkungen kreativ und bot neuartige Formate wie Online-Weinproben an, Weinkulturbotschafter sendeten Podcasts. Da sind viele gute Ideen dabei, die über die Coronakrise hinaus Bestand haben werden. Auch in der Gesellschaft für Geschichte des Weines gab es keinen Stillstand. Besonders freue ich mich darüber, dass mehrere neue wissenschaftliche Beiräte ihre Arbeit mit Engagement aufgenommen haben.

DWA: Schauen wir also optimistisch nach vorne! Auf welche weinhistorische Veranstaltung freuen Sie sich am meisten?

Krämer: Mit Spannung erwarte ich die große Sonderausstellung „Berauschend – 10.000 Jahre Bier und Wein“ im Landesmuseum Württemberg, die vom Oktober 2022 bis April 2023 in Stuttgart stattfindet. Die kulturhistorische Ausstellung spannt einen Bogen von der Steinzeit bis in die Gegenwart und es geht um die Rolle, die Alkohol in sozialen Kontexten der Vergangenheit und Gegenwart spielt(e).

DWA: Diese Ausstellung ist auch für die Arbeit der Deutschen Weinakademie von enormer Bedeutung! Was plant die Gesellschaft für Geschichte des Weines für das kommende Jahr?

Krämer: Unsere Gesellschaft wird 2022 endlich wieder eine umfangreiche Tagung mit vielen spannenden Programmpunkten vom 25.-29. Mai in Retz anbieten können! Wir verstehen uns als Netzwerk und Kommunikationsplattform für alles rund um Weinkultur und Weingeschichte im deutschsprachigen Raum. Dies möchten wir in 2022 weiter ausbauen, ein wichtiges Instrument ist dabei unsere Internetseite. Wir wollen stärker interdisziplinär arbeiten. Es sollen zunehmend Themen aufgenommen werden, die die Geschichte des Weinbaus im Kontext mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen betrachten. Wir sind davon überzeugt, hiermit auch jüngere Menschen ansprechen zu können.

DWA: Es gibt ja immer Unentschlossene, die wenige Tage vor Weihnachten noch kein Weihnachtsgeschenk für Ihre(n) Liebste(n) haben. Haben Sie einen kulturgeschichtlichen Tipp?

Krämer: Spontan fällt mir das Buch Mit Wein Staat machen. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von Knut Bergmann ein. Er betrachtet Weinkultur und Trinkkultur aus einem sehr originellen Blickwinkel, denn er untersucht das Verhältnis zwischen Wein und Staat anhand der Weinauswahl bei Staatsbanketten der Bundesrepublik Deutschland. Herausgekommen ist ein hervorragend recherchiertes, spannendes und sehr unterhaltsames Buch. Aber Weinfreunde können sich zu Weihnachten auch eine Mitgliedschaft in der Gesellschaft für Geschichte des Weines wünschen! Das bringt ein nachhaltiges Kulturerlebnis!

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