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Zur aktuellen Lage an der Ahr

Interview mit Dr. Knut Schubert, Kreisgeschäftsführer, Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau e.V.

Die 2021er Ernte ist eingebracht. Wie sind die Winzerinnen und Winzer an der Ahr mit dem Ergebnis zufrieden?

Insgesamt betrachtet sind die Winzerinnen und Winzer sowie auch die an der Ahr sehr stark vertretenen Genossenschaften mit dem Ergebnis der diesjährigen Lese zufrieden. Jedoch muss man sagen, dass es eine sehr heterogene Ertragsbildung gegeben hat. Die Genossenschaften reichen von der verarbeiteten Menge her an das Vorjahresergebnis heran. Dies liegt aber auch daran, dass Selbstvermarkter, die den Ausbau der eigenen Trauben nicht realisieren konnten, mit einer Genossenschaft vertraglich regelten, die Trauben einmalig an diese abzugeben. Hier stand das Ziel, den Ausbau der Trauben zu 100 Prozent an der Ahr stattfinden zu lassen, im Fokus aller Akteure. Bei den Selbstvermarktern zeigt sich, wie gesagt, ein heterogenes Bild: Ein Großteil der Betriebe spricht davon, dass die Erntemenge nicht ganz das Niveau aus 2020 erreicht. Einige Winzer beklagen jedoch eine Mengenausbeute, die nur 50 Prozent der 2020er Lese ausmacht. Es spielt dabei sicher eine Rolle, ob VOR der Flut die in diesem feuchten, wüchsigen Jahr notwendigen Blattarbeiten auch termingerecht und zügig durchgeführten wurden. Die Tage nach der Flut haben dann zu weiteren Verzögerungen bei den Arbeiten geführt, die zum Ergebnis hatten, dass einzelne Anlagen nicht mehr zu retten waren. 60 ha Rebfläche wurden von der Flut zerstört, bzw. waren nicht zu ernten. Wir prognostizieren optimistische rund 35.000 hl Gesamtertrag (2020: 39.000 hl). Es wird ein kräftiger, fruchtiger Jahrgang mit passenden Säuregehalten. Dem Ausbau zum beim Verbraucher beliebten „Blanc de Noirs“ steht ebenso nichts im Wege.

 

Was war die größte Herausforderung nach der Flut bei der Einbringung der Ernte?

Große Ungewissheit herrschte ab dem ersten Tag darüber, ob eine Erzeugerabfüllung möglich werden kann. Die große Zerstörung der Keller und Geräte zu einem Zeitpunkt rund zwei Monate vor der Lese sorgte für einen großen Zeitdruck. Parallel galt es, die Trauben in den Weinbergen zu schützen: durch die erwähnten Blattarbeiten und den Pflanzenschutz per Hubschraubereinsatz. Die Blattarbeiten wurden überregional durch Obmänner in den Weinbergen koordiniert, die die Lagen gut kannten und die vielen ungelernten freiwilligen Helfer anlernen mussten. Der Hubschraubereinsatz zur PSM-Ausbringung war insbesondere beim ersten Flug nach der Flut ein Kraftakt. Es mussten Ausnahmegenehmigungen bei mehreren Behörden erwirkt werden, da Rettungshubschrauberflüge im Katastrophengebiet Vorrang haben. Entsprechend mussten mit der Polizeibehörde Zeitfenster abgestimmt werden, die einen Überflug ermöglichten, aber auch von der Witterung her zum Einsatz passten. Bei wechselhaftem Sommerwetter ist das eine Herausforderung. Insgesamt mussten nach der Flut drei Hubschraubereinsätze bis Mitte August geplant und durchgeführt werden. Hier haben die Interessensverbände viel Arbeit geleistet und den Winzern den Rücken freigehalten. Die Winzer selbst haben mit Unterstützung von Kollegen aus anderen Regionen und Servicekräften der Fachfirmen ihre Keller auf Vordermann gebracht. Zeitgleich mussten auch die geretteten Flaschen und Fässer geborgen werden. Die Vermarktung des Weines musste zur Liquiditätssicherung in Gang gebracht werden. Herausgekommen sind dabei u.a. „Flutweinaktionen“, die verbraucherseits gut angenommen wurden.

 

Zusätzlich zu den Folgen der Flutkatastrophe kommen noch Probleme infolge der Corona-Pandemie. Wie sieht es mit der Absatzsituation an der Ahr aus?

Viele Betriebe haben bereits im vergangenen Jahr den Online-Handel für sich entdeckt und praktizieren digitale Verkostungen mit ihren Kunden. Das wird/wurde in Lockdown-Zeiten auch gut angenommen. Der Weinabsatz hat insgesamt von der Pandemiesituation profitiert, da in den eigenen vier Wänden eher Wein als Bier konsumiert wird/wurde. Für Winzerbetriebe mit eigenem Ausschank und starker Gastronomiebelieferung sieht die Lage anders aus. Hier musste das Konzept umgestellt werden, sonst fehlten perspektivisch die Einnahmen. Ein weiteres Problem ist der wiederholte Ausfall der Winzerfeste. Absatzfördernd ist auf jeden Fall die Flutweinvermarktung. Auf die Begleitumstände, die dazu führten, hätte aber Jede(r) gerne verzichtet.

 

Die Hilfsbereitschaft und die Solidarität der Weinfreunde mit den Winzerinnen und den Winzern an der Ahr waren bisher groß. Was können die Weinfreunde tun, um die Winzerschaft weiterhin zu unterstützen?

Der Dank der Ahrwinzer insbesondere an die Unterstützer und Kollegen aus der Branche ist unendlich groß. Es wurde bereits sehr viel Soforthilfe geleistet. In unseren jüngsten Gesprächen mit den Betroffenen kommt immer wieder eine Sorge besonders hoch: Wie wird das Ahrtal zukünftig aussehen? Haben wir noch die nötige Attraktivität für den so wichtigen Tourismus? Die Wiederherstellung der Infrastruktur schreitet voran. Dennoch wird es eine Übergangszeit geben, in der die touristischen Aktivitäten überschaubar bleiben. Der Online-Weinverkauf kann nur temporär die Lücken der Vorort-Vermarktung schließen. Das Gesamtgebilde von Weinbau-Tourismus-Gastronomie, das vor der Flut (und der Pandemie) ideal funktionierte, soll wieder hergestellt werden. Hierzu wären auch extern initiierte Aktionen im kommenden Jahr hilfreich. Die Unterbringung von Gästen wird noch eine Weile problematisch sein. Aber Tagestourismus findet schon aktuell statt. Evtl. ist hier ein Ansatz gegeben, sich mit einzubringen, gemeinsame Fahrten in das Ahrtal zu organisieren und darüber mit Hilfe der verschiedensten (digitalen) Kanäle zu berichten. Die Menschen müssen kurzfristig wieder Lust bekommen, Entspannung im Ahrtal zu suchen; auch, wenn noch nicht überall der Idealzustand hergestellt wurde. Evtl. ergibt sich nach dem Winter mit dann hoffentlich stabiler Corona-Lage die Möglichkeit, Aktionen/Events mit zu initiieren und finanziell/personell zu unterstützen.

Quellen:
  • Teaserbild Ahr: Christian Lipowski
Erstellt am
Kulturthemen

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