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Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 4

Vor 85 Jahren: Internationales Weinamt (OIV) forderte Maßnahmen gegen Prohibition und für Aufklärung

Wenige Tage bevor Hitler Ende August 1939 den Befehl gab, in Polen einzumarschieren und damit den Zweiten Weltkrieg hervorrief, trafen sich Vertreter aus vielen Weinbauländern in Bad Kreuznach zu einem Internationalen Weinbaukongress, der vom 21. bis 30. August 1939 terminiert war. Mit der heutigen Kenntnis der längst laufenden Kriegsvorbereitungen und dem geplanten Überfall Polens in den ersten Septembertagen klingen die Begrüßungsworte von R. Walter Darré, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und Reisbauernführer sowie Präsident des Internationalen Weinbaukongresses 1939, geradezu wie Hohn:

„Deutschland schätzt sich glücklich, zum ersten Mal Gastland des Internationalen Weinbaukongresses zu sein. Inmitten des deutschen Weinbaugebietes werden sich die an den wissenschaftlichen und praktischen Fragen des Weinbaus sowie der Verwertung und des Absatzes der Weinbauerzeugnisse interessierten Männer aller beteiligten Länder in Bad Kreuznach zu einem förderlichen Austausch der Gedanken und Erfahrungen vereinen. Diese Zusammenarbeit wird für den Weinbau die mit ihm verbundenen Berufszweige aller Länder nutzbringend sein; sie wird aber auch dazu beitragen, die Verständigung unter den Kongressteilnehmern über die Fachfragen hinaus zu fördern und damit der von Deutschland angestrebten Befriedung der Völker dienen.“

Wein als Kulturgut

Wir wollen uns an dieser Stelle nicht mit den gesamtpolitischen Themen und den Lügen der Nationalsozialisten rund um den Weinbaukongress vor 85 Jahren weiter beschäftigen, trotz der Aktualität dieser Fragestellungen in der heutigen Zeit. Vielmehr wollen wir hier der Frage nachgehen, welche Bedeutung zur damaligen Zeit dem Wein als Kulturgut zugeordnet wurde und wie die Auseinandersetzung mit der Prohibition verlief. In dieser Hinsicht sind die Ausführungen des Präsidenten des Internationalen Weinamtes (OIV), Edouard Barthe, im offiziellen Programmheft des Internationalen Kongresses in Bad Kreuznach (1939) auch heute noch interessant. Er führte unter anderem aus:

„Unsere Gelehrten haben sich in eine gemeinsame Front gestellt, ihre Ziele waren die gleichen, nämlich der Sache des Weines zu dienen. Die Ärzte haben durch das Ergebnis ihrer klinischen Erfahrung und auch durch das ihrer Laboratoriums-Forschungen dazu beigetragen, die für die Heil- und Ernährungskunde wichtigen Eigenschaften des Weines zu bestätigen. […] Der Wein ist Zeuge aller Zivilisationen, er hat unsere Seele geformt und Volkstum geschmiedet. […]. Schon lange vor der Plejade [1] der Mediziner, die unsere Propaganda fördern helfen, hatte die Weisheit der Völker die gesundheitsfördernden Eigenschaften des schon in den Gesetzen von Manou [2] und in dem Veda [3] verherrlichten Getränkes bestätigt. […]. Der Wein ist die Freude, die wahre Poesie, das Genie der romanischen Rasse, das Horaz vor zwanzig Jahrhunderten verherrlichte; er ist der Gesang der Troubadoure und der nordfranzösischen Liederdichter, die von Burg zu Burg und Schloss zu Schloss zogen, das Ideale zu verbreiten; er ist das Lied des Blondel, der Friedrich Barbarossa suchte; er ist das homerische Lachen des Rabelais, die feine Philosophie Molières, das Genie Goethes.“

So poesievoll können (fast) nur Franzosen vom Leben und vom Wein schwärmen. Wenige Wochen vor dem internationalen Kongress in Bad Kreuznach hatte OIV-Präsident Edouard Barthe auf dem internationalen Landwirtschaftskongress in Dresden über die wirtschaftliche Lage des Weinbaus referiert. Er ging auf die Krise des Weltweinbaus ein und erläuterte erforderliche Maßnahmen.

Energische Position der OIV gegen Prohibition und für Aufklärung

Als Ursachen der damaligen Weinkrise benannte er eine planlose Ausdehnung der Weinbaukulturen, Streben nach hohen Erträgen pro Hektar, Zollprobleme und Außenhandelsschwierigkeiten, schließlich die Prohibition, die allgemeine Wirtschaftskrise und die Schließung von Absatzmärkten. Unter den Maßnahmen, die er vorschlug, war unter anderen die „Notwendigkeit einer wissenschaftlichen, insbesondere medizinischen Propaganda als Reaktion gegen die Prohibition und zwecks Aufklärung über die wohltuende Wirkung des mäßigen Weingenusses.“Und weiter: „Was endlich die Propaganda und das schwerwiegende Problem der Prohibition (Trockenlegung) betrifft, so hat sich die einstimmige Meinung zu wiederholten Malen durch eine energische Reaktion gegen den Geist der Prohibition geäußert, der im Gegensatz steht zu den Jahrhunderte alten Traditionen der Menschheit und dessen Auswirkungen sich in jeder Hinsicht als unheilvoll erwiesen haben, war immer dieser Sektierer Geist sich zeigte.“

Er schloss seinen Vortrag mit den Worten: Was den Wein anbelangt, so können wir heute eine Wandlung, besonders in der Auffassung der medizinischen Welt, feststellen, die die wohltuende Wirkung des mäßigen Weingenusses anerkennt, entsprechend einem Ausspruch Pasteurs der den Wein als das gesündeste und hygienische Getränk bezeichnete.“Im Wein liegt Wahrheit. Aber auch Präsidenten von internationalen Weinorganisationen können irren. Auch heute noch wird die wohltuende Wirkung des mäßigen Weingenusses bestritten und keine Unterscheidung zum übermäßigen Wein- bzw. Alkoholkonsum getroffen. Bedauerlich, dass viele auch bei dieser Frage, ähnlich wie beim gesamtpolitischen Zusammenhang des Weinbaukongresses, nicht bereit sind, aus der Geschichte zu lernen.  

RN 24.09.2024

 

[1] Ein Sternhaufen am Himmel mit unterschiedlichen mythischen Bedeutungen.

[2] Man(o)u ist im Hinduismus der Stammvater der Menschheit.

[3] Veda/Veden sind eine zunächst mündlich überlieferte, später verschriftlichte Sammlung religiöser Texte im Hinduismus.

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