Weingenuss, Volksgesundheit und Alkoholpolitik vor 85 Jahren
Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 3
Im Fachblatt des nationalsozialistischen Reichsnährstandes, Der Deutsche Weinbau, wurden vor 85 Jahren mehrfach alkoholpolitische Themen thematisiert. Unter der Überschrift Volksgesundheit und Werbung wurde über eine Kundgebung in Berlin mit dem neuen Reichsgesundheitsführer Staatsrat Dr. Conti berichtet, der deutlich Stellung gegen das Rauchen und den Alkoholkonsum bezog. Er betonte, „es sei weiterhin für die Gesundheitsführung ein unwürdiges Bild, zu sehen, wie Menschen in verrauchten Buden, in verquollener Luft vor einem Glas Bier stehend, ihren Feierabend verbringen; hier müßte der Appell an die persönliche Lebensführung einsetzen, und dem einzelnen klarmachen, dass seine Gesundheit nicht ihm, sondern dem Staat gehöre.“
„Die persönliche Gesundheit gehört nicht dem Einzelnen sondern dem Staat!“
Aus heutiger Sicht ist eine derartige Position zumindest als starker Tobak zu bezeichnen. Auf der gleichen Veranstaltung sprach sich Prof. Dr. Reiter, Präsident des Reichsgesundheitsamtes dafür aus, die Werbung für Tabak und Alkohol einzuschränken. Ihm widersprach Professor Dr. Hunke, Präsident des Werberates der deutschen Wirtschaft. Er lehnte Einschränkungen ab und plädierte für eine eigenverantwortliche Werbung für alkoholische Erzeugnisse und Tabak, die sich auf die Forderungen der Volksgesundheit ausrichte. Er betonte: Die deutsche Regierung „brauche nicht die Hilfe jener Phantasten, die die Auseinandersetzung um Alkohol- und Nikotingenuß zu einer weltanschaulichen Frage zu machen versuchten.“Die Erfahrungen zeigten, dass Entscheidende sei Aufklärung und Erziehung. „Tatsachen lassen sich nicht ändern, nur benutzen,“philosophierte einst Bismarck.
Da sich laut Fachblatt des Reichsnährstandes vor 85 Jahren die Angriffe auf den Genuss alkoholischer Getränke häuften, sah sich der SA-Brigadeführer Edmund Diehl, Vorsitzender der Hauptvereinigung der deutschen Weinbauwirtschaft und Reichsfachwart Wein veranlasst, die Winzer zu beruhigen.
„Zur besonderen Beunruhigung keine Veranlassung!“
Der Weingenuss dürfe – so Diehl - nicht mit Alkoholmissbrauch gleichgesetzt werden. Die beruflichen Vertretungen des Weinbaus haben nach seinen Worten stets gegen jeglichen Alkoholmissbrauch Stellung genommen. Diehl betonte, dass die Winzer und Weinverteiler ein hohes Eigeninteresse haben, dass der Wein nicht nur nicht schädlich, sondern gesundheitsbewusst genossen werde. In diesem Sinne sprach er sich für eine verantwortungsvolle Werbung aus. Parolen wie „Kampf dem Weingenuß“ lehnte er mit dem Hinweis ab, dass die Alkoholgegner Sinn und Zweck des Weingenusses völlig verkennen würden.
Fanatische Vorwürfe an jüdische Weinhändler
Diehl stellte in dem Editorial fest: „Winzer und Weinverteiler müssen die schärfsten Gegner eines jeglichen Alkoholmissbrauches sein. Sie sind es einmal aus Verantwortungsbewusstsein der Volksgesamtheit gegenüber, zum anderen aber auch aus Liebe zu dem hochwertigen Ergebnis ihrer Arbeit.“Zumindest indirekt machte Diehl die jüdischen Weinhändler am Alkoholmissbrauch mitschuldig: „Die Zeiten, da der Wein ein Spekulationsobjekt in jüdischen Händen war und geschäftsmäßiges Denken im Vordergrund stand, oft auch wegen der jüdischen Machenschaften stehen musste, sind Gott sei Dank endgültig vorbei. Winzer und Weinverteiler haben bis heute nicht mehr nötig, den Absatz ihrer Erzeugnisse auf Wegen zu fördern, die zwangsläufig in Alkoholmissbrauch münden.“ Rückblickend kann man nur fassungslos feststellen, auf welche wirre und fanatische Gedanken bestimmte menschliche Gehirne kommen können.
„Nur Werbung für verständnisvollen Genuß deutschen Weines!“
Zusammenfassend machen die Ausführungen Diehls aufgrund seiner Wortwahl und Begründungen den Eindruck, dass die Alkoholgegner in der NSDAP erheblichen Einfluss hatten, wohl aufgrund der Rückendeckung durch Adolf Hitler höchstpersönlich. Vor diesem Hintergrund ist die auf den ersten Blick abwegige Argumentation Diehls zu lesen, dass eine Verunglimpfung deutschen Weins innerhalb des Reichs („in unserem Vaterland“) in vielen Ländern, in die deutsche Weine exportiert wurden, große Irritationen auslösen würde. Offenbar war vor allem die Ausfuhr deutscher Spitzenweine für das NS-Regime ein wichtiger Devisenbringer, der durch die Diskussionen über Alkoholmissbrauch nicht beschädigt werden sollte.
Quellen:
- Wein und Alkoholmißbrauch. In: Der Deutsche Weinbau (1939), S. 201–202.
- Volksgesundheit und Werbung. In Der Deutsche Weinbau (1939), S. 365.
RN 26.07.2024