Deutsche "Weincultur" in Californien vor 150 Jahren - Von Eltville nach Kalifornien. Rheingauer als Beispiel, wie Wein die Welt verbindet – damals wie heute.
Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 1
Vor 150 Jahren, genauer gesagt am 1. August 1874, konnten die Leser der Deutschen Wein-Zeitung eine Heldengeschichte eines Rheingauer Winzers lesen, die folgendermaßen eingeleitet wurde:
„Es ist ein alter Erfahrungssatz, dass deutscher Fleiß und deutsche Ausdauer sich unter allen Himmelsstrichen bewähren. Nicht im Erobererschritt und mit Waffengewalt sucht der Deutsche Cultur zu verbreiten, sondern gleich den still und emsig schaffenden Kräften der Natur ringt er mit dieser in unablässigem Kampf, […]“.
Nun ja, heute wissen wir, dass „die Deutschen“ diese lobenswerten Worte nicht beherzigten, ganz im Gegenteil! Doch zurück zu dem besagten DWZ-Artikel:
„Als einen praktischen Beweis für die Wahrheit dieser Worte und unserer Bemerkungen am Eingang dieser Zeilen sei es uns gestattet, in kurzen Zügen die Entwickelung des Weinbaues nach rheinischer Art in Californien zu schildern. Der Schlosser Jakob Knaut von Eltville reiste im Jahre 1849 nach New Orleans und von da nach Texas. Dort immer vom gelben Fieber gepeinigt, schloss er sich einer von der Regierung veranstalteten Expedition von 44 Mann an, welche zum Zweck von Vermessungen für die Anlage einer Eisenbahn nach Californien am 1. September 1850 aufbrach. Nach unsäglichen Kämpfen langte die Expedition erst ein volles Jahr später, am 1. September 1851, aber durch die schädlichen klimatischen Einflüsse der durchwanderten weiten, unwirthbaren Länderstriche sowohl, wie durch Hunger und Durst und besonders durch die beständigen Kämpfe mit den grausamen Indianerstämmen des Westens bis auf fünf Mann dezimiert, baarhäuptig und baarfüßig in Sacramento City an.“
Nicht nur die Darstellung der indigenen Bevölkerung dürfte einer kritischen Überprüfung kaum Stand halten. Doch folgen wir weiter der Darstellung in dem 150 Jahre alten Artikel:
„Unter den wenigen Überlebenden war auch Knaut. Der für die Begleitung der Expedition versprochene Preis von 400 Dollars pro Mann wurde ihm hier ausbezahlt und kaufte er dafür ein Stück Land an „Satters Fort“. Er ließ sich nun von seinem Vater in Eltville Sämereien und Weinreben schicken und trieb Handelsgärtnerei und Weinbau. Nachdem er auch hier noch einmal die Gewalt der Naturkräfte kennengelernt hatte, welche in der Gestalt einer furchtbaren Gebirgswasserflut seine Besitzungen heimsuchte und mit 4 Fuß hohem Schlamm und Steinmassen bedeckte, reagirte umso kräftiger der deutsche Geist in ihm gegen die feindlichen Mächte, welche der Ausführung seiner Idee so vernichtend entgegentraten. Eingedenk eines rheinischen Liedes, welches in jovialer Laune den Ursprung des Weinbaus am Rhein und Neckar auf den Erzvater Noah zurückführt und das Heidelberger Fass als dessen Arche erklärt, „begrüßte er froh das Leben und pflanzte neue Reben.“
Kürzen wir die Lobeshymnen auf die deutschen Tugenden etwas ab. Es bleibt ja immer noch:
„Das Resultat seiner Mühen war überraschend großartig: die Trauben gediehen prächtig und der Wein hatte nichts von dem früheren Erdgeschmack. Die Rheinische Rebe hat auch hier wieder, fern von ihrer Heimat an den Gestaden des stillen Weltmeeres durch deutschen Fleiß die Siegespalme errungen, in dem die Orleans- und Rießlingstrauben die Könige der kalifornischen Reben genannt werden; alle anderen Traubensorten gedeihen wenig oder gar nicht. Um dem Geschäft die größtmögliche Ausdehnung zu geben, gründete Knauth eine Actiengesellschaft unter seinem Präsidium mit der Firma „Orleans Hills Vinicultural Association Sacramento“. Nun mit größeren Mitteln ausgestattet, machte der Weinbau überraschende Fortschritte, in dem die Compagnie, die in jedem Jahre neue Weinberge anlegte[…].. - Im März dieses Jahres schickten die Brüder Knaut ein Fass ihres Erzeugnisses, gewonnen aus Orleans-Reben an ihre Verwandten nach Eltville. Trotz der langen Reise und des häufigen Klimawechsels auf derselben war der Wein vollkommen gesund geblieben.
Das Fass wurde am 4. März in San Francisco aufgegeben, ging per Schiff nach Panama, dort über die Landenge an die atlantische Küste und von dort da wieder per Dampfer bis Hamburg, von wo es Anfangs Juni per Bahn nach Eltville gelangte. Hier wurde der Wein im „Hotel Taunus“ von geübten Kennern einer Probe unterworfen, und von außerordentlicher Kraft, südländischem Feuer und Wohlgeschmack befunden. Möge deshalb die mit vaterländischem Fleiß gegründete Cultur rheinischer Reben im fernen Westen weiter blühen, den Söhnen Alt-Deutschlands dorten zu Nutz und Ehre, den gesammten Antipoden der östlichen Erdhälfte zur Freude“[…] sein.
So weit, so schön, eine 150 Jahre alte Geschichte, aber wieviel Wahrheit steckt in ihr?
1965 schrieb Ernest P. Peninou eine zunächst unveröffentlichte „History Of The Sacramento Viticultural District“, die aber jetzt im Internet zu finden ist. Und in ihr wird die Geschichte von Jakob Knauth mit vielen Details erzählt:
„In 1851 Jacob Knauth, an ambitious young German,was operating in Sacramento in the neighborhood of Sutter´s Fort a resort called the Sutter Floral Gardens. The next year he spent some eight hundred dollars of his earnings as a tavern keeper to pay for the express charges on lily bulbs and grape cuttings from Philadelphea, and a year later he imported some Orleans grape cuttings from the Rhenish duchy of Nassau.“
Auch seine Erfolge bei Weinwettbewerben, aber auch seine wirtschaftlichen Rückschläge durch Überflutungen seiner Keller werden erwähnt:
„In 1860 Knauth received from the State Agricultural Society a handsome diploma for his wine made from foreign grapes. He had stored his choice wines in the celllar of his tavern, the Sutter Floral Gardens, but in December of 1860 when a flood hit the city and swamped his cellar, he moved some twentv puncheons of wine from the cellar and put them in the yard. On the tenth January a still higher flood washed them awav, collapsed the walls of the cellar, and nearly destroyed the Floral Gardens and the wine which he had bottled.“
Ausführlich werden auch seine Initiativen zur Gründung der Orleans Hills Vinicultural Association Sacramento gewürdigt, eine Weinfirma, die allerdings wegen Kapitalmangel nicht dauerhaft erfolgreich war.
Noch spannender wird die Geschichte, weil Knaut(h) die zweifelhafte Ehre hatte, einer der ersten bekannten kalifornischen Weinbauern zu sein, bei dem die Reblaus in seinen Weinbergen gefunden wurde. Aufgrund der isolierten Lage seiner Rebenflächen und der Tatsache, dass die Abstammung der in den Orleans Hills gepflanzten Reben leicht zurückverfolgt werden konnte, wurde der Weinberg im Jahr 1880 von Frederick W. Morse, einem Assistenten von Professor Eugene W. Hilgard von der Universität von Kalifornien untersucht. Hilgard war von der kalifornischen Regierung als Sonderermittler für die Reblaus eingesetzt worden. Er gab die positive Identifizierung des Schädlings im Weinberg bekannt und erklärte:
„Wenn er [Knauth] also die Reblaus mit seinen Stecklingen eingeschleppt hat, so muss er die Keime 1853 aus Deutschland mitgebracht haben, also etwa zu der Zeit, als die Franzosen glauben, dass die Reblaus aus den Vereinigten Staaten eingeschleppt wurde.“
Die Wissenschaft war schon damals in der Gefahr, von der politischen Propaganda missbraucht zu werden. Bekanntlich wurde die Reblaus erst 1874 in Deutschland, in der Nähe von Bonn nachgewiesen. Das zeigt einmal mehr, 1874 war ein weingeschichtsträchtiges Jahr!
RN/Juli 2024