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Ist das eine Glas Wein schon zu viel?
24.07.2025 | 11:00 - 13:00 Uhr 

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Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 13

Die Zehn Gebote - Vor nahezu 90 Jahren

Zehn Gebote für Patenweintrinker

Kaum war Hitler 1933 an der Macht, gab es in den deutschen Weinbaugebieten große Weinernten. Ob dies im Sinne des abstinenten Führers war, wissen wir nicht. Vermutlich sahen einige Parteigenossen einen Zusammenhang. Allerdings fielen die 1934er und 1935er Weinernten erheblich größer als die bisherigen Verkaufsmöglichkeiten aus. Um Markt- und Preisprobleme zu verhindern, kam der nationalsozialistische Weinverwaltungsapparat, der Reichsnährstand, auf eine sensationelle Absatzidee: die sogenannten Weinpatenschaften. Städte und Gemeinden außerhalb der Weinbaugebiete wurden zu Weinpaten von Weinbauorten, um den Weinabsatz und die Volksgemeinschaft zu fördern. Die Weinpatenstädte führten allerlei Veranstaltungen und Maßnahmen durch und sorgten in der Regel erfolgreich dafür, dass die Keller ihrer Patengemeinden geleert wurden, bevor die nächste große Ernte kam. (Ab 1937 folgten wieder kleine Weinernten). Ein Weinhistoriker unserer Tage hat diese spektakuläre Weinabsatzaktion uncharmant, aber auch unzutreffend, als „Saufen für den Führer“ bezeichnet. 

„Saufen für den Führer“?

Derartige sprachliche Zuspitzungen passen zwar in den Zeitgeist von heute, bei dem es allzu oft nicht um Fakten, sondern um Schlagzeilen geht. Da die Organisatoren der Weinpatenschaften durchaus um den Einfluss der Alkoholgegner auf Regierungskreise wussten, sorgten sie vor. Sie veröffentlichten „Zehn Gebote für Patenweintrinker“. Sie betonten einleitend, dass Weintrinken keine „platte Schlundvergnüglichkeit“ sei. Schließlich sei Wein nicht irgendein Getränk, sondern eingefangene Sonne, die mit besonderer Liebe genossen werden solle. Die Organisatoren empfahlen den Volksgenossen, diese Gebote zu beachten, wenn sie „in den Tagen des Festes der deutschen Traube und des Weines mit dem löblichen Entschluss aus dem Hause“ gingen, um „den Arbeitsfleiß des deutschen Winzers durch einen guten Schluck Patenwein zu ehren“. Sie müssten diese zehn Gebote nicht auswendig lernen, wie früher in der Schule den Katechismus, hieß es weiter. Aber es könne nicht schaden, sich diese Gebote ein paarmal durchzulesen, um sie nicht schon beim zweiten Schoppen Patenwein zu vergessen.

Die Zehn Gebote

  1. Gebot: Trinke Wein niemals auf nüchternen Magen!
  2. Gebot: Iss keine süßen Speisen, bevor du Wein trinkst!
  3. Gebot: Achte auf die richtige Temperatur!
  4. Gebot: Achte auf den richtigen Kapselschnitt!
  5. Gebot: Trinke Wein stets langsam!
  6. Gebot: Trinke Wein stets in kleinen Schlucken!
  7. Gebot: Scheu dich nicht, Wein verdünnt zu trinken!
  8. Gebot: Halte Maß, wenn du Wein trinkst!
  9. Gebot: Wenn du viel trinkst, iß´ zwischendurch eine Kleinigkeit!
  10. Gebot: Gedenke beim Wein auch des Winzers!

Die einzelnen Gebote wurden unterschiedlich ausführlich erläutert. So heißt es beim 5. Gebot: Wein muss langsam getrunken werden. Schnell getrunkener Wein bekommt nicht; die feine, anregende Säure des Weines darf dem Magen nicht mit einem Mal in zu großer Menge zugeführt werden, wenn ihre wohltuende Wirkung nicht in das Gegenteil umschlagen soll. Oder zum 6. Gebot: Wer ein Glas Wein mit einem Zuge „ex“ trinkt, beweist, dass er von Weintrinken nichts versteht, denn die edelsten Eigenschaften des Weins, sein Aroma und Duft, seine Würze, sein Fruchtgeschmack kommen erst dann zur Geltung, wenn man jeden einzelnen Schluck sorgsam auskostet. 

Kritische Würdigung

Wir machen in der heutigen allgemeinen politischen Diskussion immer wieder die Erfahrung, dass aus politischen Richtungen, die man persönlich für völlig unakzeptabel hält, im Detail Sinnvolles gesagt werden kann. Und so ist es rückblickend auch bei Betrachtung der „Zehn Gebote für Patenweintrinker“, die vom nationalsozialistischen Reichsnährstand für die Patenweinaktion aufgestellt wurden. Diesen Empfehlungen kann man auch aus heutiger Sicht des moderaten Weinkonsums nur zustimmen. Natürlich kann man mit Fug und Recht scharf kritisieren, dass ausgerechnet ein Verwaltungsapparat einer nationalsozialistischen und antisemitischen Regierung sich einer Formel bedient, die ursprünglich die Prinzipien des jüdischen Volkes beinhaltete. Ohne Frage, eine verwerfliche Masche. Und doch sind die Empfehlungen inhaltlich sinnvoll. Im alten Babylon hätte man gesagt: Schau nicht auf den Krug, sondern auf den Inhalt (Talmud). Heute muss man auf alles genauestens schauen! 

 

Quelle: Der Deutsche Weinbau 1936, S. 603-604

Rudolf Nickenig, Remagen
Juni 2025

Erstellt am
Kultur & Gesellschaft Der Wein erzählt Geschichte(n) 2025