Die Ärzteschaft und der Wein – vor nahezu 100 Jahren und heute
Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 12
Wer sich als Mediziner ausgewogen oder gar positiv zu der Thematik Wein und Gesundheit äußern möchte, wird sich dies in der heutigen Zeit dreimal überlegen. Zu leicht wird er in eine Schublade eines Alkohollobbyisten gesteckt. Derartige Beschimpfungen und Verunglimpfungen sind nicht neu, vielleicht ist das Ausmaß in der heutigen medialen Welt größer und die Aggressivität der Alkoholgegner stärker geworden, um vom eigenen unwissenschaftlichen Verhalten (s. no-safe-level-Debatte) abzulenken.
Die Ärzteschaft und der Wein, das war schon immer ein Thema, das auch in regelmäßigen Abständen in Weinfachzeitschriften aufgegriffen wurde. Vor 70 Jahren erschien in der Fachzeitschrift Das Weinblatt ein Editorial, das den Untertitel Ein alter Plan neu vorgetragen trug. Der alte Plan bezog sich darauf, in Deutschland eine Vereinigung zu etablieren, die es in Frankreich bereits seit Jahrzehnten gab: einen „Verein weinfreundlicher Ärzte“. Zu Recht wies der Leitartikler daraufhin, dass in Frankreich im Gegensatz zu Deutschland Wein zu den Volksnahrungsmitteln gezählt wurde. Die Aufgabe der Vereinigung weinfreundlicher Ärzte sei, Erkenntnisse zu sammeln und auszuwerten, die geeignet seien, den Wein als Stärkungs- oder Heilmittel auszuwerten. Heute würde man eher davon sprechen, die gesundheitlichen Wirkungen positiver und negativer Art je nach Maß oder Ausmaß des Konsums zu untersuchen.
Frankreich - Association des Médecins Amis du Vin
In dem Artikel wird darauf verwiesen, dass die Idee, auch in Deutschland eine derartige Bewegung ins Leben zu rufen, viele Jahre zurückliegt. Schon 1930 hatte Dr. Friedrich Moerchen, ein Wiesbadener Nervenarzt, auf dem Weinbaukongress in Trier die Gründung einer derartigen Vereinigung in Deutschland angeregt. Vermutlich stand er in Kontakt mit französischen Kollegen, die zeitgleich ihre Association des Médecins Amis du Vin planten und 1932 mit Billigung der französischen Regierung ins Leben riefen. 1932 fand der erste, 1934 der zweite Kongress der Vereinigung statt (s. Abbildung 1). Auch in anderen Ländern wurden ähnliche Veranstaltungen durchgeführt.
So fand in Österreich 1935, also vor 90 Jahren, der erste Kongress weinfreundlicher Ärzte statt. Hierüber wurde unter anderem in der Medizinischen Rundschau und im Bulletin der OIV (No. 91 1935, S. 36-37) berichtet. Themen waren unter anderem Vitamine und Tannine, Nutzung eines moderaten Weinkonsums in der medizinischen Praxis, Wein als Bestandteil einer Ernährung für Diabetiker. Thema waren auch die Auswirkungen des Weins auf die Psyche und das Wohlbefinden. Die Notwendigkeit zwischen den alkoholischen Getränken zu unterscheiden, wurde ebenso betont, wie die Notwendigkeit, dass die Mediziner Position beziehen („die Wahrheit“ sagen) zum Thema der gesundheitlichen Auswirkungen des Weingenusses.
In einer Zeit, in der im Deutschen Reich ein bekennender abstinenter Führer an der Macht war, wurde keine Gesellschaft weinfreundlicher Ärzte gebildet. Dabei darf nicht übersehen werden, dass der NS-Reichsnährstand sich durchaus für die Förderung des Weinabsatzes einsetzte, wie zum Beispiel die Weinpatenschaftsaktionen Mitte der 1930er Jahre eindeutig beweist. Die Erwartungen der deutschen Alkoholgegner, dass sich die Nationalsozialisten energisch gegen den Weinkonsum positionierten, trat auch in den Folgejahren nicht ein. Stattdessen wurden im damaligen weinbaulichen Verkündungsblatt des Reichsnährstandes Artikel veröffentlicht, die dem mäßigen Weinkonsum positiv gegenüberstanden; z.B. war ein Bericht folgendermaßen überschrieben: Alkoholgenuß in mäßigen Grenzen – nicht schädlich (Quelle: DDW 1937, S. 726-727) unter Bezugnahme auf Ärzte.
Thema auf Kongressen und in Veröffentlichungen
Es ist kein Zufall, dass nach dem Krieg die Idee eines Vereins weinfreundlicher Ärzte wieder auflebte. Denn 1949 fand der 5. Kongress der Association des Médecins Amis du Vin in Bordeaux statt. So kam das Thema Wein in der Heilkunde auf dem Weinbaukongress 1950 in Bad Kreuznach wieder zur Sprache als Nahrungsmittel. Fünf Jahre später stellte der Leitartikler im Weinblatt enttäuscht fest, dass die bisherigen Aktivitäten in Deutschland nicht zur Gründung dieser „angestrebten Vereinigung“ geführt haben, weder Vorträge auf den Weinbaukongressen, noch die Herausgabe eines Weinkompendiums für Ärzte von Dr. Reich im Jahr 1950. Aus diesen Bestrebungen wurde auch in den Folgejahren nichts. Stattdessen blieb es bei wissenschaftlichen Beiträgen in den Weinfachzeitschriften und Kongressen sowie bei humorigen Betrachtungen des Arzt-Wein-Konsumenten-Verhältnisses (s. Abbildung 2).
Der DWA-Beirat: Unabhängig, interdisziplinär, nur der Wissenschaft verpflichtet
Der heutige Wissenschaftliche Beirat der Deutschen Weinakademie steht sicherlich nicht in dieser Tradition einer Vereinigung weinfreundlicher Ärzte, wie sie in Frankreich gelebt und in Deutschland vor einigen Jahrzehnten erträumt wurde. Vielmehr handelt es sich um eine Gruppe unabhängiger Wissenschaftler, die mit ihrem guten wissenschaftlichen Ruf dafür einstehen, weltweite Forschungen unbeeinflusst von weinwirtschaftlichen Interessen zu bewerten und dabei sowohl die Vorteile eines moderaten Weingenießens für die Gesundheit und für die Lebenserwartung im Auge zu haben, als auch die negativen Folgen eines unmäßigen Konsums alkoholischer Getränke. Da es in der heutigen Zeit wichtiger denn je ist, interdisziplinär zusammenzuarbeiten, ist der Wissenschaftliche Beirat mit Wissenschaftlern aus mehreren Fachdisziplinen besetzt.
Rudolf Nickenig, Remagen
Mai/Juni 2025