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Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 11

Tranken Beamte bevorzugt Schnaps, Hausfrauen Wein und alle Coca-Cola?

 

Es gibt für die eigene Gemütslage nichts Sinnvolleres, als alte Zeitschriften durchzublättern. Hier findet man die Bestätigung, dass die gute alte Zeit auch nicht besser als die heutige war. Vor mir liegt der Jahrgang 1950 der Fachzeitschrift Der Weinbau. 

Und schon nach dem Umblättern der ersten Seiten bleibe ich an folgender Überschrift hängen: Beamte trinken am liebsten Schnaps? Dies habe, so berichtet die Redaktion, das sogenannte Institut für 'Demoskopie’ dieser Tage aufgrund bestimmter Befragungen festgestellt. Die Leiterin dieses Instituts, Dr. Elisabeth Noelle-Neumann in Allensbach am Bodensee, bringt dabei die merkwürdigsten Ergebnisse in die Öffentlichkeit. Die Redaktion scheint wenig Zutrauen zur Demoskopie vom – heute berühmten – Allensbacher Institut gehabt zu haben und zweifelte die weiteren Untersuchungsergebnisse an: So klingt es märchenhaft, wenn die Behauptung aufgestellt wird, das beliebteste Hausfrauengetränk wäre das Bier. Weit eigenartiger dürfte die Feststellung sein, daß die Beamten am liebsten Schnaps und Liköre trinken. Würde heute das Allensbach Institut der gleichen Frage nachgehen, dann kämen sicherlich andere Ergebnisse heraus. Denn die demoskopischen Methoden haben sich geändert und der Geschmack der Frauen und der Beamten auch!

Wäre ein abstinenter Goethe ein besserer Dichter gewesen?
Nur drei Seiten weiter springt mir auf Seite 11 folgende Überschrift ins Auge: Bocksprünge der Alkoholgegner. Mit zunehmendem Vergnügen lese ich: Das Goethe-Jahr hat die seltsamsten Blüten getrieben. In der Schweiz gibt es eine Zeitschrift „Der abstinente Sozialist“, darin wurde der tote und wehrlose Goethe wie folgt beurteilt:„Ich nehme mir ganz frei heraus, dass Goethe, wenn er abstinent gewesen wäre, wohl noch besseres geleistet hätte und die Gespräche der Ausgewanderten anders, oder den II. Teil des Faust klarer geschrieben hätte.“ Diese steile These des abstinenten Sozialisten veranlasst den Verfasser der Glosse in Der Weinbau zu überlegen, welche Thesen der abstinente Sozialist erst aufstellen würde, wenn er mal besoffen einen Text verfassen würde. Offenbar hatte die Anekdote der Redaktion, vielleicht auch den Lesern so gut gefallen, dass sie den gleichen Text in Heft 3 vom 1. Februar nochmals veröffentlichte, allerdings nun unter der Überschrift: Nüchtern und besoffen.

Coca-Cola vs. Wein
In Heft 8 wird Mitte April nicht nur berichtet, dass der Deutsche Weinbauverband wiederbegründet wurde, sondern auch so einiges Amüsantes „Am Rande vermerkt“. Redakteur Reuter berichtet dort: Vor wenigen Wochen besuchte mich der Schriftleiter einer Weinfach-Tageszeitung (sowas gibt es in Frankreich!) und wir sprachen viel über die französischen Absatznöte. Er erwähnte auch Coca-Cola, dessen Wettbewerb man auf dem Getränkemarkt zu fürchten allen Grund habe. Der erfahrene Herr meinte allerdings, der Weingenuß sei den Franzosen so sehr Herzens- und Glaubenssache, dass Coca-Cola weniger vom Wein zu fürchten sei, als etwa von den Brauereien, denn Bier ist in Frankreich nicht so ausgesprochen volkstümlich.  Für dieses Getränk wird in einer unerhörten Weise die Werbetrommel gerührt. – Auch bei uns fallen die Versuche, Coca-Cola einzuführen, fast von Tag zu Tag mehr auf.

Franzosen kämpfen nicht für Coca-Cola!
Diesen Bericht des französischen Weinjournalisten nimmt der Glossenschreiber auf, um mit feiner Ironie folgendes zum Besten zu geben: Man sollte meinen, dass die Einführung dieses amerikanischen Getränks sogar in einem Falle wichtig ist! Denn womit sollten sonst unsere Bundestagsabgeordneten ihre vom vielen Reden öden Kehlen ölen, denen ja nur ein Tagegeld von 30.-- DM festgesetzt worden ist, sodass dieser Unkostenersatz, wie der Abgeordnete Leonard erklärte, nur gestattet, sauer Kohl und Fischgerichte zu essen, wobei es dann noch zu Coca-Cola u. ä. reiche. Ja, da müssen uns unsere armen Bundestagsabgeordneten leid tun, denen wir – nach berühmtem Muster – täglich eine halbe oder besser eine ganze Flasche Wein im Leibe gönnen; und zwar nicht nur, um dadurch den Weinabsatz etwas zu heben.“

Coca-Cola: Ein Werbeaufreger im Jahr 1950
Im Laufe des Jahres 1950 entwickelte sich die Coca-Cola-Werbung zu einem medialen Aufreger. Anfang Dezember wurde im Deutschen Weinbau in der Rubrik Zwischen den Zeilen berichtet, dass in Amerika die Taufe eines Ozean-Riesen mit Coca-Cola erfolgte. Das ist ja so, meinte der Glossenschreiber, als würden Könige Mineralwasser trinken. Und noch ein ‘no-go’ für die Weinwelt der damaligen Zeit war schlagzeilenwürdig: Coca-Cola mit Wein! ‘Die weisen Könige von anno dunnemal würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüßten, wie der Rebensaft heute mißbraucht wird!’ Der Coca-Cola-Boom schien in den Nachkriegsjahren nicht aufzuhalten zu sein, so dass sogar die Franzosen sich ihres Weinkonsums nicht mehr sicher sein konnten. Sie gründeten eine Anti-Coca-Cola-Liga. Im Heft 17 des Jahrgangs 1950 können wir folgendes lesen: in Frankreich ist seit längerer Zeit eine Gegenaktion im Gange, an der sich Winzer, Bierbrauer und Fruchtsafthersteller mit gleichem Eifer beteiligten. Als kürzlich davon die Rede war, daß Frankreich ein Truppenkontingent für den Koreafeldzug stellen sollte, wurde von der Anti-Coca-Cola-Liga die Parole ausgegeben: wir kämpfen nicht für Coca-Cola! Schlussfolgerung: heute wird das europäisch-amerikanische Verhältnis durch Trump, Musk und Co. belastet, damals die transatlantischen vinophilen Beziehungen durch Coca-Cola! 

RN Ende März 2025

 

Erstellt am
Kultur & Gesellschaft Der Wein erzählt Geschichte(n) 2025