Vor 100 Jahren - Was man von der Abstinenzbewegung wissen muss
Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 7
Mit dieser Überschrift informierte Anfang Dezember 1924 die Rheingauer Weinzeitung ihre Leser über die neuesten Aktivitäten der Alkoholgegner vor allem in Preußen. Da war folgendes zu lesen [1]:
„Die preußische Regierung hat nach einer öffentlichen Erklärung des Professors Gonser in Berlin amtlich einen Alkohol gegnerischen Ausschuss eingesetzt.“
Weiterhin:
„Bei der Beratung des Etats des preußischen Wohlfahrtsministeriums haben sich die Redner einschließlich des Berichterstatters, in der Alkoholfrage auf einen rein abstinenzlerischen Standpunkt gestellt und, anscheinend lediglich gestützt auf abstinenzlerische Traktätchen, Behauptungen aufgestellt, von denen jeder einsichtige wissen muss, dass sie unrichtig sind. Soweit wir unterrichtet sind, erfolgte gegen diese Behauptungen von keiner Seite Widerspruch.“
Und schließlich:
„Am vergangenen Bußtag sind in sämtlichen protestantischen Kirchen während des Gottesdienstes antialkoholische Predigten abgehalten worden, die durchweg am Schluss zu einer Propagandarede für das Schankstättengesetz und das Gemeindebestimmungsrecht ausarteten.“
Ja, 1924 war ein Jahr in der die Alkoholgegner wieder recht rührig waren. So fand in Nürnberg Ende September die Hauptversammlung des Deutschen Vereins gegen den Alkoholismus mit einer Reihe von Vorträgen und mehreren Resolutionen statt. In Bielefeld tagte der Deutsche Bund enthaltsamer Erzieher und der Bund abstinenter Frauen. Außerdem fanden mehrere Versammlungen kleineren Ausmaßes statt, konnte man in einer Ausgabe der Fachzeitschrift Der Deutsche Weinbau (DDW) lesen. [2] In der Weinbranche war man besonders besorgt, dass mittels eines geplanten Schankstättengesetzes in Kombination mit einer Änderung des Gemeindebestimmungsrechtes der Verkauf von alkoholischen Getränken, besonders des Weines, massiv eingeschränkt werden könnte. In einer Dezemberausgabe der Fachzeitschrift [3] war zu lesen:
„Die Alkoholgegner versuchen mit allen Mitteln das Schankstättengesetz unter Dach zu bringen und sie scheinen in dem zuständigen Ministerium, nämlich dem Reichsministerium des Innern weitgehende Unterstützung zu finden.“
Die Weinbranche argumentierte, dass von einem nennenswerten Alkoholmissbrauch in Deutschland nicht die Rede sein könnte. Überdies sei der Weinkonsum seit dem Ersten Weltkrieg rückläufig. Staatliche Reglementierungen einer Trockenlegung, wie sie in den Vereinigten Staaten versucht wurden, seien in einem Fiasko geändert. Der Artikel endete mit einem flammenden Plädoyer, sich gegen staatliche Eingriffe zu wehren:
„Die Abstinenzler sollen sehen, dass sich der Weinbau nicht so ohne weiteres das Fell über die Ohren ziehen lässt. Bei dem Kampf wird sich auch zeigen, dass der Alkohol bei den Winzern noch keine Degenerationserscheinungen hervorgerufen hat, sondern dass sie trotz Alkoholgenuss mit Energie und Zähigkeit um ihr gutes Recht kämpfen werden.“
Geschichte wiederholt sich nicht. Aber so manches ähnelt sich doch, was sich 1924 und 2024 in der Alkoholpolitik abspielt.
[1] Rheingauer Weinzeitung (1924), S. 190.
[2] DDW (1924), S. 430.
[3] DDW (1924), S. 528.
RN/22.11.2024