Vor 95 Jahren: Katholische Kirche gegen die Prohibition
Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 5
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Prohibition ein ständiges Thema in den Weinfachzeitschriften. Intensiv wurde über die Attacken der Guttempler[1] und anderer Alkoholgegner und über die Abwehrkämpfe der Weinbranche sowie der Bier- und Spirituosenindustrie berichtet. Mit Freude und Genugtuung wurden Nachrichten aufgegriffen, wenn sich Institutionen auf die Seite der Weinbranche schlugen. So wurde im Mai 1929 in Der Deutsche Weinbau in der Rheingauer Weinzeitung gleichlautend berichtet, dass auf der Titelseite des Osservatore Romano, des amtlichen Organs der päpstlichen Kurie in Rom, ein Artikel mit der Überschrift erschien: „Die Bischöfe mißbilligen die prohibitionistische Propaganda“. Es handelte sich um die Bischöfe von Australien und Neuseeland, die aufgrund der nach ihrer Meinung schlechten Erfahrungen mit der Prohibition in den Vereinigten Staaten eine ausgewogene Haltung forderten:
„Wir haben keine Sympathie für diejenigen, welche sich gerechten Beschränkungen des Alkoholhandels widersetzen. Aber ebensowenige Sympathie haben wir für diejenigen, welche keinen Unterschied machen zwischen dem Gebrauch und Mißbrauch solcher Getränke.“
Der Redakteur behauptete am Schluss seines ausführlichen Artikels, dass nicht nur die australischen und neuseeländischen Bischöfe, sondern auch die Mehrheit der amerikanischen Geistlichkeit die Prohibition ablehnten. Er forderte, sich weltweit diesem „furchtlosem Kampf gegen die Utopie des Prohibitionismus“ anzuschließen. Erfreut konnten die Redaktionen von Der Deutsche Weinbau und der Rheingauer Weinzeitung mehrere Monate später berichten, dass sich der päpstliche Nuntius in Deutschland[2], Eugen Pacelli[3], in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Kreuzbundes[4] in Berlin gegen die Prohibition und für eine Differenzierung zwischen Mäßigkeit und Missbrauch aussprach. In einem Schreiben an den Vorsitzenden des Kreuzbundes in Berlin richtete. Darin hieß es unter anderem:
„Der Katholik sieht in den geistigen Getränken kein Gift, sondern eine Gottesgabe. […]. Aber übermäßiger Genuss geistiger Getränke ist Gift, Gift für den Wohlstand, Gift für das Eheglück und den häuslichen Frieden, nur zu schnell und zu leicht auch für den Aufbau der kommenden Geschlechter.
Der mäßige und vorsichtige Genuß geistiger Getränke ist nicht Sünde. Aber der Mißbrauch des Alkohols ist Sünde, da, wo er jene traurigen Folgen zeigt, schwere, ja himmelschreiende Sünde. […]
Die katholische Kirche kann dem Zwang zur allgemeinen Totalabstinenz nicht das Wort reden.“
Anlass für das Schreiben war eine Anfrage des Kreuzbundes an den päpstlichen Nuntius, ihre neue Geschäftsstelle bei der Eröffnung einzusegnen. Der Nuntius verband in dem Schreiben seine Bereitschaft mit der Bedingung, dass er seinen Segen nur dann erteile, wenn der Kreuzbund auf dem Boden „dieser Anschauung“ (also einer Differenzierung zwischen Mäßigkeit und Mißbrauch) arbeiten werde. 95 Jahre später dürfen wir davon ausgehen, dass der Segen erteilt wurde und der Kreuzbund die Bedingung des Nuntius zur Kenntnis genommen hatte.
[1] 1851 in New York gegründete Abstinenzlerbewegung; 1897 Gründung der Deutschen Guttempler in Flensburg.
[2] Der Botschafter des Papstes in Deutschland nennt sich heute offizielle „Apostolischer Nuntius“. Neben seinen Aufgaben als „Botschafter“ hat der Nuntius als Vertreter des Papstes gegenüber den Ortskirchen auch zahlreiche innerkirchliche Aufgaben.
[3] Eugenio Pacelli, später Papst Pius XII, war von 1917 bis 1925 Apostolischer Nuntius in München und von 1920 bis 1929 Apostolischer Nuntius für das Deutsche Reich. Am 16. Dezember 1929 hat ihn Papst Pius XI nach Rom gerufen und ihn zum Kardinal ernannt. Er kümmerte sich um die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl und verhandelte unter anderem das sog. Reichskonkordat (1933). Nach dem Tode Pius XI. wurde er am 2. März 1939 zum Papst gewählt und nahm den Namen Pius XII. an.
[4] 1896 gegründeter katholischer Verein zur Bekämpfung des Missbrauchs geistiger Getränke
Quellen:
- Katholische Bischöfe über Prohibition und Prohibitionisten. In: Der Deutsche Weinbau (1929), S. 253–254 sowie in Rheingauer Weinzeitung (1929), S. 169-170.
- Die katholische Kirche gegen die Prohibition. In: Der Deutsche Weinbau (1929), S. 449–450 sowie in Rheingauer Weinzeitung (1929), S. 313.