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Der Wein erzählt Geschichte(n) Folge 2

Neustart vor 75 Jahren! Neue Köpfe braucht das Land. 

Die erste Sitzung eines Deutschen Bundestages fand am 7. September 1949 in Bonn statt. Wenige Tage vorher, am 1./2. September, versammelten sich die Vertreter der deutschen Winzer in Mainz zu ihrer ersten Tagung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Eröffnungsansprache hielt Richard Graf Matuschka-Greiffenclau als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Weinbauverbände. Die Arbeitsgemeinschaft, die ihre Arbeit 1948 aufgenommen hatte, bereitete die Gründung des Deutschen Weinbauverbandes vor, die im Mai 1950 vollzogen wurde.

Der Tagungsort Mainz war ausgewählt worden, weil die Stadt traditionsgemäß Ende August, genauer gesagt vom 27. August bis zum 4. September 1949, wieder ihren Weinmarkt durchführte. Die Gelegenheit wurde genutzt, um auch eine Ausstellung mit Land- und Kellereimaschinen zu organisieren. Das Angebot war der Zeit geschuldet überschaubar und dennoch überraschend groß. Die Weinbau-Lehranstalt Oppenheim präsentierte in einer Lehrschau die modernsten Erkenntnisse der Wissenschaft im Kampf gegen die Reblaus. Aber auch für den Weingenuss war gesorgt: „In 27 Zelten auf dem Halleplatz ist die ganze Zeit für herzliche Weinfröhlichkeit eine Stätte bereitet.“

Als Krönung und Ende der Herbsttagung wurde eine große fachmännische Weinprobe auf dem Halleplatz am Rhein angekündigt, „wo auserwählte Kostproben aus allen deutschen Weinbaugebieten gereicht und edelste Spitzengewächse verkostet werden konnten. Der Preis einer Teilnehmerkarte wurde - in Anbetracht der gebotenen Köstlichkeiten in reicher Fülle - mit 12.- Mark wohlfeil angesetzt.“ Heute fragt man sich: wer konnte sich das kurz nach der Währungsreform leisten?

Es war nicht nur schwierig, in der zerstörten Stadt Räumlichkeiten für Tagungen, sondern auch Zimmer für Übernachtungen zu besorgen. Die Mainzer Verkehrsvereine hatten der Arbeitsgemeinschaft ihre Unterstützung zugesagt, sodass die Veranstalter „trotz der sehr schweren Zerstörungen, die die alte Residenz- und Weinstadt Mainz erlitten“ hatte, auf eine erfolgreiche Tagung und eine Unterbringung der Teilnehmer hoffen konnten. Da die „Quartiere“ in Mainz nur im begrenzten Maße zur Verfügung standen, mussten für die erwarteten „Abertausende“ an Besuchern Quartiere in der näheren Umgebung organisiert und Omnibusverbindungen eingerichtet werden.

„Der Weinbau“ warb mit Rudi von Endt
Bereits Wochen vorher war in der Fachzeitschrift „Der Weinbau“ intensiv für eine Teilnahme an den öffentlichen Veranstaltungen und für einen Besuch der Fachausstellung geworben worden. Rudi vom Endt hatte hierfür humorige Skizzen entworfen, um die PR-Arbeit zu unterstützen.

Die Veranstaltung fand zu einem Zeitpunkt statt, als die meisten Städte noch in Trümmern lagen, viele Weinbaubetriebe in einer Notsituation und die Weinberge durch Kriegsfolgen in einem schlechten Zustand waren. Deshalb stand der Wiederaufbau der Betriebe und der Rebflächen im Mittelpunkt des Interesses. Graf Matuschka setzte in seiner Rede jedoch einen weiteren wichtigen Akzent, indem er auf die Schutzbedürftigkeit des deutschen Weinbaus vor Weinimporten und Berücksichtigung der Winzerinteressen bei den beginnenden Verhandlungen über Handelsverträge der jungen Bundesrepublik hinwies. Von der Mainzer Tagung wurde sogar ein diesbezügliches Telegramm an den Bundestag gerichtet, also einige Tage bevor die Mitglieder des Bundestages zu ihrer ersten Versammlung in Bonn zusammenkamen (s. Abbildung).

Neue Strukturen für die junge Bundesrepublik - und auch für den Weinbau
Es war eine Zeit des wirtschaftlichen, aber auch des rechtlichen Neubeginns. Erst wenige Wochen vorher, am 15. Juli 1949 hatte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Peter Altmeyer das „Landesgesetz über die Auflösung des Reichsnährstandes und zur Überleitung von Aufgaben und Befugnissen auf den Gebieten der Ernährungswirtschaft und Landwirtschaft“ verkündet. Bekanntlich hatten die Nazis praktisch alle Organisationen der Weinbranche aufgelöst und die gesamte Verwaltung der Weinwirtschaft in den Reichsnährstand, einer riesigen NS-Verwaltung, eingegliedert. 1949 war die Zeit gekommen, die alten Strukturen für ungültig zu erklären und neue Strukturen und Organisationsformen zu schaffen, um den Wiederaufbau einer zerstörten Weinbranche anzugehen. Der Arbeitsgemeinschaft und insbesondere ihrem Vorsitzenden Richard Graf Matuschka-Greiffenclau war klar, dass von Anfang an gegenüber der Politik, also auch und vor allem gegenüber dem neuen Bundestag, die volkswirtschaftliche Bedeutung des deutschen Weinbaus unterstrichen werden musste: „Die Entwicklung, die die große Politik nimmt, fordert von uns größte Aufmerksamkeit. Deutschland soll wieder in die Weltwirtschaft eingegliedert werden. Ein europäisches Wirtschafts- und Zollsystem soll das bisher übliche System der staatlichen Einzelwirtschaften und des gegenseitigen Zollschutzes ablösen.“Aus heutiger Sicht ist faszinierend zu lesen, dass bereits 1949 die Vision einer Europäischen Wirtschafts- und Zollunion die praktische Weinbaupolitik geprägt hat.Graf Matuschka war ein erfahrener Vertreter des Berufsstandes, deshalb unterstrich er seine Forderung nach einem Zollschutz für die deutschen Weinbaubetriebe mit dem Hinweis an die Politiker, dass es sich hierbei um die berechtigten Anliegen von über einer Million deutscher Weinbautreibender einschließlich ihrer Familien und Hilfskräften und um die Interessen von mehreren hunderttausend Gewerbetreibenden und Industriearbeitern handelt.

Die Reblaus spielte nach dem Krieg eine große Rolle im Weinbau
Bei der Großen Öffentlichen Tagung sprach Dr. Jakob W. Bieroth, Ministerialdirigent im rheinland-pfälzischen Ministerium für Wiederaufbau und Finanzen über „Die Volkswirtschaftliche Bedeutung des Weinbaues in Gegenwart und Zukunft“. Dr. Karl Heinrich Fahrnschon ging in seinem Vortrag der Frage nach: Was sind die gemeinsamen Interessen von Weinbau und Weinhandel?“ Er war vermutlich in besonderer Weise als Referent für dieses Thema prädestiniert, war er doch vor der NS-Zeit Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbandes und nun nach dem Krieg Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Weinhändler-Vereinigungen. Im dritten Vortrag beschäftigte sich der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Weinbauverbände, Dr. Wilhelm Heuckmann, mit der Herausforderung: „Wie kann der Wiederaufbau reblausverseuchter Gebiete beschleunigt werden?“ Unterschiedlicher hätte die biographische Vergangenheit der Referenten nicht sein können: Heuckmann hatte im Reichsnährstand Karriere gemacht und Bieroth war von den Nazis als Syndikus des Rheingauer Weinbauverbandes und Redakteur der Rheingauer Weinzeitung zunächst entlassen, dann im Zusammenhang mit dem Röhmputsch inhaftiert worden, in die Niederlande geflohen und dort nochmals in die Hände der SS geraten. Die Art und Weise des „Wiederaufbaus“ unter Beteiligung von Verfolgten des NS-Regimes und von Führungskräften des Reichsnährstandes wirft auch heute noch immer Fragen auf. 

RN/Juli 2024

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